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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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dachten, dass sie betrunken war, was ja auch stimmt, und doch hatte Anna in dieser Nacht die Klarsicht einer Eule. Mit einundfünfzig Jahren, einem Liebhaber als Leiche und fragwürdiger Altersversicherung war es an der Zeit für Korrekturen. Gegen alle Gesetze der Trägheit, die sie zur Lebenskunst erhoben hat. Der Engel sagte zu Lot und den Seinen: »Rette dich, es gilt dein Leben. Schaue nicht hinter dich, bleibe nirgends stehen …« Seine Frau jedoch drehte sich um, steckte sich eine Zigarette an … und erstarrte zur Salzsäule.
    Anna hat die halb volle Packung in den Müll geworfen, als sie nach Hause ging. Nie wieder, das waren große Worte, und sie fühlte sich stark. Das war gestern. Heute sieht sie mit hungrigen Augen zu, wie Jack raucht. »Willst du auch eine?«
    »Nein, danke«, sagt Anna: »Ich habe aufgehört.« Sie stöbert in ihrer Handtasche nach Kaugummis, findet keine und kaut an ihrer Gier. »Hat Gore mit amerikanischem Akzent gesprochen?«
    »Ganz wenig, sein Deutsch war klasse. Machte immer Witze, du weißt schon. Er war ein komischer Mann, immer gut drauf und nicht so arrogant wie manche ›Adlon‹-Kunden. Es gibt welche, die können durch einen hindurchsehen. Was interessiert dich eigentlich so an dem Typ?«
    Sie könnte ihm die Kippe aus dem Mund schlagen. Er hält sie lässig schräg zwischen den Lippen wie der Cowboy in amerikanischen Filmen. »Ich bin mir nicht sicher«, sagt Anna. »Richard Gore könnte ein Heiratsschwindler sein. Hat er denn manchmal Frauen dabeigehabt?«
    Eine Fünfzig-Euro-Frage für Jack. Er spürt den Schein in seiner Hosentasche und denkt, dass die Rothaarige ihn ausnutzt. Will so viel wissen für so wenig Geld. Alles verkommt, sogar im Westen, und vielleicht liegt es einfach daran, dass Berlin zu nah dran ist. Man muss weit gehen, bis nach Amerika, um den Ostmief loszuwerden. Ein Land, das so wahnsinnige Filme hervorbringt und einen Präsidenten hat, der wie ein Coyboy auftritt, kann nicht schlecht sein.
    »Tja, ich hatte ja keine Nachtschicht. Müsste die Kollegen fragen. Jedenfalls war er ein Frauentyp, so etwas sehe ich sofort. Obwohl er ziemlich alt war, ich schätze mal so deine Generation.«
    Sie steckt den Satz ein. »Frag sie«, sagt Anna. Kann es sein, dass ihre Hände zittern? Sie hat nicht gefrühstückt, nur Kaffee in der Küche getrunken. Als sie rauchen wollte und keine Zigaretten fand, fiel ihr der Schwur ein. Und sie dachte, dass ein Leben ohne Krücken erstrebenswert wäre. Jetzt nicht mehr. »Wie hat Gore bezahlt? Mit Kreditkarte?«
    »Wie sonst? Wir nehmen Bares nur als Trinkgeld.« Jack beginnt zu lachen, und die Kippe fällt ihm aus dem Mund. Er muss die Nummer besser üben, bis er sie beherrscht wie James Dean. Als erfolgreicher Schauspieler wird er sich den alten Porsche kaufen und damit über den Sunset Boulevard brettern. »Gore sagte, dass er Jack Nicholson kennt. Hat mit ihm Poker gespielt. Der Typ schien mir ein Zocker zu sein, wenn du verstehst, was ich meine. Von irgendwas muss der Mensch ja leben. Ach ja, und er hat eine Weile in Phoenix, Arizona, gelebt. War Privatpilot für einen Millionär oder so, aber nicht so lange. Richard meinte, dass das Leben zu kurz sei, um Dinge zu tun, die einen langweilen. Immer gut drauf, der Typ. Es sei besser, hoffnungsvoll zu reisen, als anzukommen, hat er mal gesagt. Ich glaube, das war einen Tag, bevor er uns verließ …«
    »Hat er einen Grund für seine Abreise genannt?«
    Jack öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen. Dann verschluckt er den Satz, auf den Anna gewartet hat, und sieht auf seine Uhr, eine Rolex-Kopie, mit falschen Brillanten besetzt: »Ich muss zurück, meine Pause ist vorüber. Die feuern mich sonst. Deutsche Bosse haben ein echtes Zeitproblem.«
    »Eine nette Uhr«, sagt Anna, die mit ihm zurück in Richtung Hotel geht.
    Er ist absolut immun gegen Ironie. »Ja, nicht? Hat mir Richard zum Abschied geschenkt. Er hatte ein paar von diesen Dingern, der Barkeeper hat auch eine gekriegt – aber ohne Brillies. Schade, dass Richard wegmusste. Er fehlt uns irgendwie.«
    »Mir auch«, sagt Anna. Warum sie das sagte, weiß sie nicht. Vielleicht meinte sie die Zigarette. Sie fehlt ihr. Beschäftigungslose Hände, die sich ins Innenfutter der Jackentaschen krallen. Es riecht nach brackigem Wasser, und die Sonne grinst milchig auf die Touristenschwärme, die sich traubenförmig um das »Adlon« verteilt haben. Sie glotzen und fotografieren und stehen im Weg. Jack bahnt sich seinen Weg,

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