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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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und Anna folgt ihm, so gut sie kann. Und wenn die Rolex echt ist? Der Gast gar nicht auscheckte, sondern entsorgt wurde, nachdem man ihn beraubt hatte? Seit Anna eine Leiche in ihrer Wohnung fand, hält sie alles für möglich. Sogar, dass der hübsche Russe der Versuchung einer glitzernden Uhr nicht widerstehen konnte. Russe ist Mafia ist Verbrechen: die Vorurteilsformel, der Anna nicht immer widerstehen kann, obwohl sie es besser weiß. Selbst wenn sie die Hirngespinste beiseite schiebt, ist sie ganz sicher, dass Jack ihr nicht alles gesagt hat. Sie muss an ihm dranbleiben und sich obendrein an die Bar des »Adlon« setzen.
    Der Barkeeper trägt auch eine Rolex, das überrascht sie nicht. Und er erzählt ihr bereitwillig, dass Richard Gore sie in Venezuela erworben habe, für fünf Euro. Kleine Verbrechen zu kleinen Preisen haben längst das Odium des Bösen verloren.
    Das Recht auf Arbeit oder eine Rolex: Wo ist da der Unterschied? Anna beginnt die Barkonversation mit Komplimenten über ein großartiges Hotel. Die kalte Pracht der Halle schüchtert sie ein, nein, es sind die Leute, die entfernt an ihr vorübergleiten. Sie sieht Jack, der mit einen Aktenkoffer hinter einem Gast herhastet, der in Eile scheint. Der Koffer muss schwer sein, denn sein Lächeln wirkt selbst aus der Distanz verkrampft. Im Hintergrund steht ein Anzugträger, der die Szene beobachtet, ein Personalüberwacher. Das Hotel ist eine in sich geschlossene Welt, ein Gefängnis, aus dem nur die Gäste auschecken können, sofern sie die Rechnung begleichen. Das Personal kann kündigen oder gefeuert werden. Offener Strafvollzug auf höchstem Niveau. Die Wärter, das sind die Gäste, ihr Wort ist Gebot und ihr Trinkgeld die Extraration neben der schmalen Kost der Gehälter. Das Kommunikationssystem der Gefangenen funktioniert perfekt: Sie wissen über ihre Wärter Bescheid, meiden sie oder beuten sie aus, so gut sie können. Das Hotelmanagement funktioniert wie eine elektronische Überwachungsanlage, Anna spürt, dass auch der Barkeeper aus der Ferne unter Beobachtung steht.
    Jack hat sie kurz als die Freundin seines Blutsbruders vorgestellt, bevor er die Bar eilig verließ. Wer sich mit Gästen einlässt, ist des Todes. Barkeeper dürfen plaudern, die Trinker unterhalten, wenn diese nichts Besseres zu tun haben. So wie Anna auf ihrem Barhocker, die er sofort richtig einschätzte: nicht von dieser Welt.
    Der Keeper ist Rumäne, eigentlich Mathematikstudent, und er träumt in seiner Luxuszelle, die um diese Tageszeit spärlich besucht ist. Jede seiner Kalkulationen führt zu dem Ergebnis, dass er sich sein Studium kaum leisten kann. Die Frau stellt Fragen, denen er sich nicht entziehen kann, weil er Jack Geld schuldet. Zu viele Dinge an zu vielen Tagen geschehen gegen seinen Willen. Doch er lächelt, dies gehört zu seinen Pflichten.
    Lächelt und redet, und sie sieht ihn aus großen, grünen Augen an und weiß nicht, was sie mit ihren Händen anfangen soll.
    Anna trinkt Wasser und sehnt sich nach Rauch. Das Leben ist eine Verzweiflung. Coitus interruptus in Glücksgefühlen. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal richtig fröhlich war. Als sie mit Liebling Schuhe kaufen ging? Mit Fjodor lachend am offenen Fenster stand? In ihr Bett fiel letzte Nacht und mit dem Gedanken einschlief, dass sie immerhin am Leben war? Sie zwingt sich zu einem Lächeln, das Vertrauen erwecken soll. Sie ist ein fröhlicher Gast, der gerne mit Barkeepern plaudert.
    Er spricht von Richard Gore wie von einem Heiligen. Der Heilige des Trinkgeldes. Dieser Mann kannte so viele komische Geschichten aus aller Welt, und er erzählte sie großzügig und belebte die gepflegte Langeweile dieses Ortes. Die Frauen, danach fragt Anna, und ja, sie waren von ihm hingerissen, alle, junge und alte, und das war kein Wunder, denn der Amerikaner hatte Geist und Witz – und Geld natürlich. »Er verfremdete die Frauen«, sagt der Rumäne voller Bewunderung, und Anna hakt nach: »Verfremden?«
    »Na ja, sie wurden alle schön in seiner Gegenwart, egal, wie und was sie waren. Magie? Es gibt keine mathematische Formel für so etwas. Selbst meine Freundin, sie war einmal da, ist ihm verfallen.«
    Und danach, dachte Anna, habt du und Jack ihn umgebracht. Ihre Phantasie ist ein Leichenschauhaus. Ihr Körper ein Wrack, das sich nach Gift sehnt. Wenn sie jetzt einen Whisky trinkt, sie weiß es, wird sie den Barmann bitten, ihr Zigaretten zu besorgen. Also schluckt sie Wasser und

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