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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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zerbröselt Chips, die sich auf dem Teller neben dem Wasserglas häufen. Ein Chipsbröselberg, aus dem sie ab und zu winzige Stücke in den Mund nimmt. Wenn der Keeper dies befremdlich findet, so lässt er es sich nicht anmerken. Gäste haben das Recht, sich in gewissem Rahmen schlecht zu benehmen. Nachts ist es schlimmer, deshalb wechselt er die Schichten.
    Anna zeigt ihm ein Foto von Julia Mauz: Ob Gore und diese Dame jemals an der Bar gewesen seien?
    Er betrachtet es eine Weile mit schief gelegtem Kopf. Anna beobachtet ihn: Warum tun Leute das, wenn sie angestrengt nachdenken? Bewirkt die Schräglage, dass Gedanken zusammenlaufen? In Annas Kopf schreien Hirnstränge in lautloser Hysterie, dass sie ihrer Sucht endlich nachgeben soll. Nachgeben ist so viel einfacher als widerstehen. Woraus folgt, dass die Welt vor allem aus Nachgebern besteht und deshalb in völliger Unordnung ist. Weiter kommt Anna nicht, denn der Keeper sagt: »Ich meine ja. Bin nicht sicher, es sitzen ja viele alte Frauen hier. Aber diese hier: Sie war schlicht, nicht aufgedonnert wie die meisten. Mit fünfundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit: ja.«
    Anna atmet tief durch: Ein Etappensieg, jetzt müsste sie glücklich sein. Prozente und Wahrscheinlichkeiten haben sie nie interessiert. Richard Gore ist David Liebling, er ist ihr Heiratsschwindler, und sie kann Eva Mauz einen Schuldigen präsentieren. Na ja, zumindest seinen Namen. David aufzuspüren wird eine andere Herausforderung sein, aber wenn sie bisher Glück gehabt hat … Glück? Martin ist in ihrer Wohnung ermordet worden. Und sie hat einen Schuldschein einzulösen …
    Er legt die Rechnung auf den Tresen. »Sind Sie sicher, dass Sie nichts Ordentliches trinken wollen?«
    »Nein«, sagt Anna. Doch sie steht vom Barhocker auf und sucht in ihrer Tasche nach Geld. Unglaublich, was eine Flasche Wasser kosten kann! Während sie den Schein auf die Theke legt, fragt sie ohne große Hoffnung, ob denn jemand wüsste, wohin Richard Gore gefahren sei, nachdem er das Hotel verlassen habe.
    Der Barkeeper streicht den Zehn-Euro-Schein ein und sieht Anna herausfordernd an. Wagt sie es, nach Wechselgeld zu fragen? Ihre Blicke kreuzen sich in einem stummen Duell der Habenichtse. »Stimmt so«, sagt Anna. Ein Tribut an die Nachgeber. Es muss leicht sein, sich die Liebe der Welt mit Geld zu erkaufen, leichter als alles andere.
    »Gore erwähnte einmal, dass er nach Brüssel wolle. Sein bester Freund lebt dort, hat er gesagt. Obwohl er nicht der Typ war, der einen Mann zum Freund hat, verstehen Sie? Männer mögen solche wie ihn nicht, sie empfinden diesen Typ als Bedrohung.«
    »Sie sind klug für Ihr Alter.« Annas Satz fällt auf harten Boden. Der Mathematikstudent sagt ihr mit einem unverschämt eindeutigen Blick, dass sie in keinem Alter klüger war als er. Und dass sie früher und dümmer sterben wird.
    »Aber als Barkeeper werden Sie es nicht weit bringen.« Das letzte Wort, sie musste es haben, bevor sie sich abwendet und die Bar verlässt. Der Tritt nach unten als natürliche Geste der Mitmenschlichkeit. Anna geht vorsichtig, um auf dem glatten Boden nicht auszurutschen. Friede den Palästen, so sieht es aus und war so nicht gemeint. In revolutionären Jahren, in der Schule, gab Anna als Berufswunsch »Guerilla« an, weil sie ein Buch über eine tollkühne Frau in Südamerika gelesen hatte. Nein, sie wollte niemals Tierärztin oder Stewardess werden. Ihre Mutter wurde zum Direktor bestellt. Die Krise war von dörflicher Schwere und führte zu einem Besuch des Pfarrers, der dem Kind ins katholische Gewissen redete. Sie war damals ein seltsames, störrisches Wesen, das ihre Mutter »schwierig« nannte. Was lernt man dazu, außer zu sprechen und den Windeln zu entwachsen?
    Eine große, rothaarige Frau in den besten Jahren, die sie haben kann, verlässt das Hotel, in dem sie nie wohnen wird. Die in den tiefen Sesseln sitzen und auf etwas warten oder auch nicht, beachten sie kaum. Jack the Ripper, von Einkaufstüten umrahmt, schenkt ihr einen lässigen Cowboygruß. Anna durchschreitet das gläserne Portal, schwenkt ihre große Handtasche, dreht sich um … und streckt die Zunge heraus.

18. Kapitel
    Es hat sie Überwindung gekostet, Anna Marx anzurufen, doch wenn sie schon in Berlin ist, will sie sehen, wo Martin starb. Alicia empfindet tiefe Abneigunggegen die Stadt, und das war schon so, bevor sie ihr das eine auf der Welt nahm, das ihr je etwas bedeutete. Falsch: Sie hat ihren Vater verehrt. Dass er

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