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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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doch nur noch einer, der in Brüssel Schatten wirft. Die Italiener werden, das weiß Bruno aus zuverlässiger Quelle, in der neuen Amtsperiode auf jeden Fall den Justizkommissar für sich beanspruchen. Weil Berlusconi ein vitales Interesse daran hat, dass länderübergreifende Ermittlungen oder gar der Euro-Haftbefehl nicht bis Italien vordringen. Weil gegen Berlusconi in Spanien wegen Steuerhinterziehung, Bilanz- und Urkundenfälschung ermittelt wurde. Also muss er seinen loyalen Mann nach Brüssel schicken. Muss die Ausdehnung internationaler Ermittlungen schon aus Eigeninteresse verhindern. Im Gespräch ist ein ehrenwerter Mann aus der Vatikanszene, gegen den die Industrielobby prinzipiell nichts einzuwenden hätte. Ein katholischer Philosoph – und hat die Kirche es nicht immer verstanden, Geist, Recht und Macht in christlichen Einklang zu bringen?
    Wenn der Fisch am Kopf stinkt, wie im Berlusconi-Fall, dann darf sich keiner wundern, wenn auch der Rest infiziert ist. Cui bono – zu welchem Zweck oder zu wessen Vorteil? Ein Bienenschwarm summt in Brüssel, und um nichts anderes geht es als um die Honigtöpfe. Süß und klebrig sind sie, und wer einmal daran naschte, darf nicht davor zurückschrecken, die Königin aufzufressen. Bruno Laurenz, mit offenen Augen und Ohren dienend, hat dieses Prinzip sehr wohl verstanden.
    Wissen ist Macht, hat Martin immer gesagt, und nach diesem Prinzip doch nicht in aller Konsequenz gehandelt. Möglich, dass ihn die rothaarige Schlampe aus Berlin weich gekocht hat. Oder John Schultz, der ihm auf die Füße trat wie kein anderer zuvor. Martin war schon ein seltsamer Heiliger: sensibel und skrupellos, vorsichtig und tollkühn, einer, von dem man lernen konnte, es noch besser zu machen.
    Mit kaltem Herzen, das ist Brunos Überzeugung, kommt man weiter in der Welt. Gewiss, er liebt die Frauen, doch der traurige Clown, der jetzt wieder schnieft, geht ihm gewaltig auf die Nerven. »Weißt du, wer unseren Chef beerben wird? Doch wohl nicht seine letzte Flamme?«
    Alicia heult auf. Nie hat sie sich gehen lassen in all den Jahren, auch nicht, als ihr Herz brach, peu à peu mit Martins Heirat, seiner Scheidung und allen Affären, die nachfolgten. Sie war seine perfekte, unentbehrliche Sekretärin, das traurige Klischee dieses Genres, und sie hat ihn geliebt. Nichts, was sie dagegen tun konnte, außer warten und hoffen. Eines Tages, dachte sie, wird er müde sein und zu ihr kommen. Stattdessen hat er sich davongestohlen wie ein Dieb in der Nacht. Das wird sie ihm nie verzeihen, niemals.
    »Alicia …?«
    »Ich weiß es nicht, Bruno. Meines Wissens hat Martin kein Testament hinterlassen. Vielleicht gibt es noch irgendwo Vettern oder Tanten … es ist mir vollkommen egal, wer ihn beerbt. DU jedenfalls nicht.«
    In gewisser Hinsicht doch, denkt Bruno, und lächelt Alicia mit aller Sympathie an, die er nicht empfindet. Dann wendet er sich wieder einer handschriftlichen Notiz zu, die Martin an den Rand eines Berichts gekritzelt hat. Ein Name steht da, an den er sich zu erinnern glaubt: Dr. Emil Wolf. Einer der Direktoren in der Kommission, denkt Bruno, und die Zahlen, die dahinterstehen, könnten eine Telefonnummer sein oder auch ein Nummernkonto. Martin, der alte Geheimniskrämer: Interessant ist die Notiz, weil sie auf einer Seite des Abschlussberichts von »Olaf« steht, der Antibetrugseinheit der Europäer in Brüssel. Der Bericht ist natürlich geheim, aber Martin hatte seine Quellen – und es waren überwiegend Frauen: Assistentinnen, Sekretärinnen, kleinere Chargen in der Beamtenhierarchie der Kommission. Opfer von Lieblings Charme, seinen kleinen Geschenken und großen Komplimenten, die ihre Wirkung selten verfehlten. Bruno gesteht sich ein, dass er dieses spezielle Metier der Informationsbeschaffung nie so perfekt beherrschen wird. Die leichte Lüge fällt ihm schwer, die augenzwinkernde Anmache, der Chanel-Duft und das grenzenlose maskuline Ego, das Martin Liebling so virtuos unter die Frauen brachte. Doch Bruno weiß, dass er andere Qualitäten hat. Und vor allem eins: Er lebt noch.
    Der Olaf-Bericht befasst sich mit der langjährigen Sanierung des asbestverseuchten Berlaymont-Gebäudes. Jahre, in denen das sternförmige Haus verhüllt blieb, weil Firmenpleiten, Korruptionsvorwürfe und Gerichtsverfahren die Bauarbeiten verzögerten. 180 Millionen Euro, so die Olaf-Ermittler, betrug der Schaden für die Europäische Union, auch, weil es Kommissionsbeamte an der nötigen Kontrolle

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