Anna Marx 9: Feuer bitte
Gesicht. Sie sei eine Frau, die nur unglücklich lieben könne, sagte Martin einmal. Der große, tote Frauenkenner. Anna erinnert sich daran, dass sie ihrer einzigen großen Liebe die Pest und den Tod wünschte, nachdem er sie verlassen hatte, um zu seiner Frau zurückzukehren. Sie war nur zu feige, Philipp umzubringen. Heute ist er nur noch ein Mann, an den sie mit spöttischer Wehmut denkt. »Wollen Sie hier stehen bleiben? Wir können uns auf das Sofa setzen. Möchten Sie was trinken?«
Alicia schüttelt den Kopf, doch sie lässt sich vorsichtig auf dem Ungetüm aus altem, rissigem Leder nieder. Das bleiche Gesicht unter den kurzen roten Haaren drückt nach wie vor nichts als Abneigung aus. Sie ist so dünn, denkt Anna, und dass Alicia vielleicht aufhörte, anständig zu essen, als Martin sie verließ. Als Liebhaber, nicht als Chef. Wie herzlos von ihm, sie über Jahre hinweg zu quälen, nur weil sie die perfekte Sekretärin war. Und wie dumm von Alicia, dieses Kapitel ihres Lebens nicht ein für allemal zu beenden, indem sie kündigte. Leiden Frauen gerne, wenn sie schon nicht glücklich sein können?
»Ich habe seinen Schal nicht gesehen. Er war ein Geschenk von mir, und ich würde ihn gerne wiederhaben. Martin hatte ihn umgelegt, als er aus Brüssel abreiste.«
Er trug ihn nicht, als er ankam, denkt Anna. Wahrscheinlich etwas mit Herzen drauf, und vielleicht hat er ihn am Flughafen weggeworfen. Sie bringt es nicht fertig, das auszusprechen. »Vielleicht ist der Schal im Koffer, den die Polizei mitgenommen hat. Was sagt die Kommissarin: Haben sie schon irgendeine Spur?«
Detektivin, denkt Alicia, und dass dies ein absolut lächerlicher Beruf ist. So, wie sie eingerichtet ist, kann die Marx kaum davon leben. Sie brauchte eine goldene Gans wie Martin. Einen, der ihr Schuhe kaufte und sie zum Essen ausführte. Er war so großzügig mit seinem Geld, und die Frauen nutzten das schamlos aus. Mit einer Ausnahme natürlich. Alicia hat ihn geliebt. Liebt ihn immer noch. Der quälende Singsang ihrer grauen Tage und schwarzen Nächte. Hat sie geglaubt, dass sein Tod sie befreien würde?
Die Marx wartet auf eine Antwort, und sie sieht aus, als würde sie auf Stecknadeln sitzen. Ihre Hände trommeln gegen die Knie, sie hat lange, weiße Finger mit unlackierten Nägeln, nicht sonderlich gepflegt. »Die Kommissarin hat mich nicht ins Vertrauen gezogen. Sie wollte von mir wissen, ob Martin Feinde hatte. Nun, ich habe das verneint. Er war ein so liebenswerter Mann, Sie kannten ihn doch auch.«
Nein, denkt Anna, ich kannte ihn eben nicht. Nur die glatte Oberfläche, und Menschen, die keine Feinde haben, sind unheimlich. Alicias Heldenverehrung reizt sie zum Widerspruch: »Martin wäre nicht so erfolgreich gewesen, wenn er nicht auch eine harte Seite gehabt hätte. Er wollte alle Zelte hinter sich abbrechen und auf eine Insel flüchten: Hat Wanda Kroll Ihnen das nicht erzählt? Und dafür muss er einen Grund gehabt haben. Einen gewichtigen, man gibt doch sein Leben nicht so ohne weiteres auf.«
»Er hat es nicht freiwillig aufgegeben.«
»So meine ich das nicht. Wussten Sie von David, seinem Zwillingsbruder?«
Alicia schüttelt den Kopf. Zu schnell, denkt Anna. Alicia mit den roten Haaren kennt mehr von seinen Geheimnissen als jeder andere. »Hören Sie: Ich würde gerne wissen, wer ihn umgebracht hat. Nicht wegen meines bescheuerten Berufes, sondern weil ich Martin gerne mochte. Weil er in meiner Wohnung getötet wurde und weil ich möchte, dass – wer immer es war – nicht ungestraft davonkommt. Sie kannten Martin am besten von allen. Erzählen Sie es mir oder Wanda Kroll, aber sitzen Sie nicht so schmollend herum. Das macht mich wütend. Außerdem habe ich mir den unpassendsten Moment meiner Geschichte ausgesucht, um mit dem Rauchen aufzuhören.«
Die Wohnung riecht nach Rauch. Nach seinen Zigarillos, denkt Alicia, und sie schnuppert begierig. Eigentlich ist sie Nichtraucherin, doch sie hat sich am Flughafen eine Packung gekauft. Havannas, die Martin so gerne mochte. Und jetzt scheint ihr der passende Moment, sie aus der Handtasche zu holen und eine anzuzünden. »Haben Sie einen Aschenbecher?«
Kanaille! Soll sie ihre Wohnung zur rauchfreien Zone erklären? Nein, sie will nicht in die Liga der Intoleranten. Anna steht auf, absolviert den üblichen Umweg, mehr Gewohnheit schon als Pietät, und geht in die Küche. Sie hat in einem ihrer Suchtanfälle vier Aschenbecher auf den Boden geschmissen. Einer hat überlebt,
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