Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
deine Harley von hier bis nach Mexiko kicke.«
Ausnahmsweise fällt ihr keine Erwiderung ein. Als ich einen verstohlenen Blick auf sie werfe, hat sie sogar einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Ich weiß nicht, was mich mehr überrascht – dass sie die Möglichkeit in Betracht zieht, ich könnte für mein Auto genauso empfinden wie sie für ihre Harley, oder dass sie überhaupt fähig ist zu denken.
Im Zweifel für die Angeklagte. »Fangen wir noch mal von vorn an. Warum wolltest du zu mir?«
Aber statt zu antworten, richtet sie sich auf dem Beifahrersitz auf. »Wo fahren wir hin?«
Ihr ist endlich aufgefallen, dass wir auf dem Weg aus der Stadt hinaus sind. Ich habe die Interstate 5 North genommen und biege jetzt in Richtung Interstate 8 East ab. »Wir machen einen Ausflug in die Berge.«
»In die Berge? Warum?«
»Ich muss jemanden besuchen.«
»Ich will aber nicht in die Berge.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben. Aber ich habe nur zwei Stunden Zeit, da rauf und wieder in die Stadt zu kommen. Deinetwegen bin ich spät dran.«
Sie schnaubt. »Das schaffst du nie in zwei Stunden. Nicht mit dem Ding.«
»Beleidigst du schon wieder mein Auto?«
»Ich sag’s nur so, wie es ist. Du willst in die Berge und in zwei Stunden wieder da sein? Ich fahre dich raus. Mit dem Bike.«
Ich sehe sie von der Seite an. Ich weiß, dass sie recht hat. Der Jaguar ist schnell, auf dem Highway. Die halbe Strecke zu Davids Hütte besteht jedoch aus kleinen Landstraßen, ein paar sogar unbefestigt. Es dorthin und zurück zu schaffen, wäre von vornherein knapp geworden, auch ohne meine Begegnung mit Tamara. Wenn ich mich in O’Sullivans Haus umsehen will, muss ich so kurz nach zwei wieder hier sein, wie es nur irgend geht.
Ich kann mich nicht erinnern, Tamaras Motorrad irgendwo in der Nähe meines Autos gesehen zu haben. Als mir dieser Gedanke richtig bewusst wird, erkenne ich, dass ich ihr Angebot annehmen werde. Warum nicht? Jetzt weiß ich ja, dass ich sie schaffen kann. Sie ist nicht Sandra.
Und ich bin neugierig. Sie hat mir immer noch nicht gesagt, warum sie hier ist. »Wo steht dein Motorrad?«
Sie lächelt. »Fahr an der nächsten Ausfahrt runter und zurück in die Stadt. Es steht um die Ecke vom Hotel.«
Ich nehme die Ausfahrt und lege so viel Drohung in meine Stimme, wie ich kann, als ich sage: »Erlaub dir bloß keine Spielchen mit mir, sonst .... «
»Bla, bla, bla«, sagt sie. »Ich weiß schon. Sonst verprügelst du mich und trittst mein Motorrad durch die Gegend. Herrgott, ihr Vampire seid doch alle gleich.«
Wir brauchen genau fünfzehn Minuten, um das Hotel zu erreichen und Tamaras Motorrad zu finden. Ich habe ihr schon im Wagen erklärt, wo wir hinmüssen, also schwinge ich mich jetzt einfach hinter ihr auf die Harley, sehe zu, wie sie ihren Helm aufsetzt, und frage dann, ob sie auch einen für mich hat. Nicht, dass ich um meine Sicherheit besorgt wäre. Wenn wir einen Unfall hätten, müsste ich schon auf einem hölzernen Zaunpfahl landen, um mir ernsthaft weh zu tun, aber hier in Kalifornien gilt Helmpflicht, und wenn wir von der Polizei angehalten werden, würde ich noch mehr Zeit verlieren.
Als ich das erwähne, greift Tamara in eine Satteltasche und reicht mir eine dicke orangerote Wollmütze, offenbar handgestrickt, mit Ohrenklappen. Und ein Headset. »Damit wir uns unterwegs unterhalten können«, erklärt sie.
Ach, wirklich. Ich setze das Headset auf und richte das Mikro aus, dann beäuge ich die Mütze. »Weiß Jaynes Mom, dass du dir seine Mütze geborgt hast?«
Sie sagt nichts darauf. Hat Serenity – Flucht in neue Welten wahrscheinlich nie gesehen. Ich setze mir die Mütze auf und frage: »Geht das wirklich als Helm durch?«
»Wenn man schnell genug ist.« Dann zeigt sie mir, was sie meint, indem sie mit Tempo achtzig vom Bordstein abdüst.
Polizisten sind für Tamara offenbar nicht so ein Problem wie für mich. Sie schlängelt sich durch den Stadtverkehr, fährt mit etwa hundertzwanzig auf den Freeway und lässt die Harley abgehen wie eine Rakete, sobald wir freie Strecke haben. Trotz alledem wird sie von den Autofahrern, an denen wir vorbeifliegen, nicht einmal mit einer hochgezogenen Augenbraue bedacht. Es ist, als wären wir unsichtbar.
Als ich mich erst an die halsbrecherische Geschwindigkeit gewöhnt habe, lockere ich den Klammergriff um ihre Taille und richte mich ein wenig auf. »Wird auch Zeit«, brummelt sie. »Du hättest mir bald das Blut
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