Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
abgeschnürt.«
Ich kann sie über das Headset laut und klar hören, aber die Strickmütze bietet keinerlei Schutz gegen den Wind. Bald tränen mir die Augen. »Ich komme mir in dieser Mütze idiotisch vor.«
Sie lacht nicht laut heraus, aber ich spüre, wie ihre Schultern beben. »Du solltest erst mal sehen, wie du darin aussiehst.«
Ich widerstehe dem Impuls, ihr dafür eine zu verpassen. »Keine gute Idee, eine Vampirin zu beleidigen«, knurre ich. »Ich könnte dir den Hals brechen und mir deinen Helm aufsetzen, ehe dein Hirn gemerkt hat, dass du tot bist.«
Sie schweigt kurz, dann stößt sie seufzend den Atem aus. »Hör mal, so gern ich auch Beleidigungen mit dir austausche, aber ich wollte dich aus einem bestimmten Grund sprechen. Ich mache mir Sorgen um Sandra.«
Nicht direkt das, was ich hören wollte. Meine Schultern straffen sich, es dreht mir den Magen um. »Und du kommst zu mir, weil Sandra und ich so gut befreundet sind, ja?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, ich komme zu dir, weil du die Einzige bist, die sie retten kann.«
Das entlockt mir ein Lachen. »Das kann nicht dein Ernst sein. Weißt du eigentlich, was gestern Abend passiert ist? Sie hat mich mit irgendeinem Zauber belegt. Sie hat dafür gesorgt, dass ich verrücktes Zeug sehe und höre. Dinge, die ich nie wieder sehen oder hören wollte. Ich habe allen gesagt, dass ich Averys Erbe nicht will. Sie kann alles haben. Ich will nur, dass dieses Miststück mich in Ruhe lässt.«
Ich kann Tamaras Gesicht nicht sehen, aber ich spüre, wie ihr Rücken steif wird, und sehe ihre Hände, die sich an den Griffen spannen. »Das war nicht Sandra«, sagt sie.
»Ach so, natürlich. Das war nicht Sandra. Jetzt hör mal zu, ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat, aber irgendwie hat sie von Dingen erfahren, die Avery zu mir gesagt hat. Sie hatte sogar eine Kopie von dem verdammten Kleid an, das er mir geschenkt hat. Sie hat mir eine Scheißangst eingejagt, und das mag ich gar nicht. Falls Sandra also tatsächlich in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt .... Hach, wie soll ich das nur sagen? Es ist mir scheißegal.«
»Sollte es aber nicht.« Tamaras Stimme klingt hart. »Hast du dich nicht gefragt, wie sie das gemacht hat? Woher sie so viel über dich und Avery weiß?«
»Ich weiß schon ungefähr, wie sie es gemacht hat. Seit ich zum Vampir geworden bin, habe ich allen möglichen seltsamen Mist gesehen. Ich habe gesehen, wie Hexen einen Dämon beschworen haben. Ich habe zugeschaut, wie Gestaltwandler sich verwandelt haben. Ich kenne Empathen und Hellseher. Ich weiß, wie sie das gemacht hat. Es war ein Zauber. Ich habe nicht die Absicht, sie je wieder so nah an mich heranzulassen, dass sie das noch mal mit mir machen kann.«
»Das war nicht Sandra«, wiederholt Tamara energischer.
»Wer war es dann?« Ich bin so wütend, dass das Blut an meinen Schläfen pulsiert. Ich zittere bei der Erinnerung an das furchtbare Grauen, das mich so heftig überkam, dass ich mich am Straßenrand übergeben musste. »Wenn es nicht Sandra war, wer zum Teufel soll es dann gewesen sein?«
»Und du hast mich als dumm bezeichnet«, faucht Tamara. »Das war Avery.«
»Avery?«, wiederhole ich und lege in dieses eine Wort so viel Verachtung, wie ich kann. »Du meinst den Avery, den ich bei einem Kampf, bei dem ich beinahe umgekommen wäre, gepfählt habe? Den Avery, der sich in Staub aufgelöst hat und mit dem nächsten Windstoß davongeweht ist? Diesen Avery?«
Das sage ich zu Tamara, aber in meinem Kopf wendet ein plötzliches, erschreckendes Körnchen Zweifel meine Gedanken in eine beunruhigende Richtung. Als Sandra mich angesehen hat, als sie Averys Worte zitiert hat, da hat sie anders ausgesehen und sich anders angehört. Aber das musste zu dem Zauber gehören, oder? Falls so etwas wie Besessenheit auch nur denkbar wäre, hätten Williams oder Frey etwas erwähnt.
»Kapierst du es jetzt?«, fragt Tamara gleich darauf. »Avery hat Sandras Körper in Besitz genommen. Um sich an dir zu rächen. Er hasst dich so sehr, dass er alles dafür tun würde, sogar Sandra töten.«
Nein. Ich schüttele den Zweifel ab. Das ist nicht möglich. »Avery ist tot.« Da gibt es nichts dran zu deuteln. »Ich habe ihn getötet. Ich dachte, Sandra sei nur psychotisch. Offenbar leidet sie obendrein unter Wahnvorstellungen. Und du auch, wenn du glaubst, was sie dir erzählt. Wir sind schon fast da. Wenn wir die Hütte meines Partners erreicht haben, fahre ich mit ihm zurück. Möchtest
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