Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
unbedingt als Erster in der Schlange stehen will, um Burkes Wundercreme abzuholen. Ich setze mich hin. Noch zwanzig Minuten, dann werde ich es riskieren, mir einen anderen Ausgang zu suchen. So lange brauche ich nicht zu warten. Zehn Minuten später springt der Motor an, und der Lieferwagen fährt weg. Es ist ein weißer Ford Econoline ohne Aufschrift und ohne Nummernschild.
Ich springe hinunter auf den Parkplatz und sehe mich um. Das Ladetor ist fest verschlossen, und nichts deutet darauf hin, dass jemand versucht hätte, dort einzudringen. Ich schaue dem davonfahrenden Lieferwagen nach.
Vielleicht bin ich nicht die Einzige, die hier etwas im Schilde führt.
Kapitel 17
Bis ich wieder in der Stadt ankomme, hat das Hotelrestaurant geschlossen. Williams und Ortiz sitzen in der Lobby in riesigen Polstersesseln, die um einen niedrigen Tisch gruppiert sind. Wir haben die Lobby ganz für uns. Der Empfang ist nicht besetzt, niemand kann uns belauschen. Durch eine offene Tür dahinter sehe ich einen Hotelangestellten, der an einem Becher nippt und in einer Zeitschrift blättert. Er blickt auf, als ich hereinkomme, doch abgesehen von einem neugierigen Blick macht er keine Anstalten, mich aufzuhalten. Er wendet sich gleich wieder den Hochglanzseiten zu.
Williams folgt meinem Blick. Ist schon gut. Er ist ein Freund. Seine hochherrschaftliche Art provoziert in mir die übliche Reaktion. Ich schnaube. Aber natürlich. Wer bist du, der Pate von San Diego?
Es ist immer dasselbe mit dir, was?, bemerkt Ortiz, ehe Williams antworten kann. Seine Worte klingen tadelnd und ungeduldig wie die eines Vaters, der mit seinen zankenden Kindern spricht.
Meine Schuld, ich weiß. Williams bringt einfach das Miststück in mir zum Vorschein. Und wir haben jetzt wirklich keine Zeit für so etwas . Verlegen reiche ich Ortiz die Aktenmappe und sehe zu, wie er und ein sichtlich genervter Williams sich die Unterlagen aufteilen. Bald sind sie nur noch mit ihrer Aufgabe beschäftigt, die Papiere durchzusehen. Ich warte, besorgt und nervös. Wenn hierbei nichts Wichtiges herauskommt, verschwende ich kostbare Zeit.
Ich konzentriere mich auf die beiden Männer, wünsche mir, sie würden sich beeilen, und staune darüber, wie verschieden sie sind. Ortiz trägt inzwischen Zivil. Ich glaube, ich sehe ihn heute zum ersten Mal nicht in Uniform. Er trägt eine Hose mit messerscharfer Bügelfalte und ein langärmeliges Polohemd. Er ist ein Vampir, der wie ein dreißigjähriger Sterblicher aussieht, etwa eins fünfundsiebzig groß, schlanke achtzig Kilo. Seiner hispanisch-indianischen Abstammung verdankt er sein dunkles, attraktives Aussehen: Adlernase, schwarzes Haar, dunkle Augen, brauner Teint und hohe Wangenknochen.
Er arbeitet mit konzentrierter, ernster Miene. Er war Williams’ Stellvertreter, solange ich ihn kenne, aber ihre Beziehung beruht auf mehr. Ich weiß nicht, worauf, und will es auch gar nicht wissen. Ortiz ist aufrichtig nett, Williams hingegen eindeutig nicht. Schließlich legt Williams ein Blatt aus der Akte beiseite, Ortiz zwei. Sie wechseln einen Blick.
Das ist eine. Und noch zwei.
Sie zeigen einander die Bilder der Frauen, die sie aus der Akte herausgesucht haben. Das Blatt, das Williams in der Hand hält, gehört zu der Toten, die wir gegenüber am Hafen gefunden haben. Lebendig sah sie viel besser aus. »Wer sind die beiden anderen?«, frage ich.
Ortiz greift nach einer schlanken Ledermappe, die vor ihm auf dem Tisch liegt, und holt zwei Phantomzeichnungen heraus. Er legt sie neben die Fotos aus Burkes Akte und dreht sie herum, so dass ich sie sehen kann. Die Ähnlichkeit zwischen Phantombild und Foto ist in beiden Fällen bemerkenswert. Williams wendet sich mir zu. »Erinnerst du dich an die Männer, von denen ich dir erzählt habe – sie wurden von Frauen angegriffen, die ihr Blut wollten?«
»Das sind die Frauen?«
»Sag du es mir. Die Zeichnungen wurden nach den Beschreibungen der Opfer angefertigt.«
Ich nehme die Fotos und die Phantombilder und lege sie vor mich hin, um sie mir genau anzusehen. »Eindeutig. Reicht das jetzt für einen Durchsuchungsbefehl?«
Williams schüttelt den Kopf. »Weswegen denn? Wir wissen immer noch nicht, worin die Verbindung zwischen Burke und diesen Frauen besteht, außer dass sie ihre Creme benutzt haben.«
»Und das reicht nicht?«
Er hält den dicken Stapel Akten mit Fotos hoch. »Nicht, wenn es offenbar noch hundert weitere Frauen gibt, die nicht in Schwierigkeiten stecken.«
Ich
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