Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
greife nach den beiden Fotos und sehe Ortiz fragend an. »Darf ich die mitnehmen?«
Ortiz nickt. Er notiert sich die Namen und Adressen auf den Rückseiten der Fotos aus Burkes Akte und steckt den ganzen Stapel und die Phantombilder in seine Ledermappe. »Was hast du jetzt vor?«
»Ich fahre nach Coronado«, antworte ich. »Zu der Adresse, die ich in Burkes Akten gefunden habe. Wenn ich Glück habe, ist es ihre eigene. Und wenn ich mich um sie gekümmert habe, statte ich diesen beiden da einen Besuch ab.«
Ortiz runzelt die Stirn. »Du willst allein zu Burke?« Ich fürchte, Williams könnte darauf bestehen, mich zu begleiten. Ich komme ihm zuvor, ehe er etwas sagen kann.
»So ist es besser. Falls ich erwischt werde, sollte keiner von euch beiden dabei sein. Jemand muss sich um Culebra und Frey kümmern. Das hier ist die Adresse, die ich in ihrer persönlichen Akte in dem Fabrikgebäude gefunden habe.« Ich zeige sie ihm telepathisch und füge hinzu: »Wenn du in zwei Stunden noch nichts von mir gehört hast, dann kannst du die Kavallerie schicken.«
»Das mache ich.« Ortiz’ dunkle Augen blitzen. Er schreibt die Adresse in sein Notizbuch und steckt es sich in die Tasche. »Sei vorsichtig, Anna.«
Williams sagt ausnahmsweise einmal gar nichts.
Kapitel 18
Die Adresse an der J Avenue, die ich Ortiz gegeben habe, stammt von einer Stromrechnung in Burkes Büro und liegt auf der anderen Seite der Bucht in Coronado. Ich kann nicht einmal behaupten, auch nur eine vage Ahnung zu haben, dass Burke hier wohnt. Ich kann nur hoffen, dass es ihre Adresse ist. Wenn nicht, habe ich weitere kostbare Minuten von Culebras Leben vergeudet.
Die Fahrt über die Brücke und immer die Fourth Avenue entlang bis zur J ist nicht weit. Das Viertel sieht nach altem Geld aus – Schindelfassaden, Ziegeldächer, mehrstöckige Häuser mit großen, ordentlich eingezäunten Gärten. Nicht das, was ich erwartet hätte. Ich habe mir vorgestellt, dass eine schwarzmagische Hexe abgeschieden hinter hohen Backsteinmauern mit wucherndem Giftefeu wohnt.
Zweifel beginnen an mir zu nagen.
So früh am Morgen ist die Straße wie ausgestorben. Ich parke ein Stück von der Adresse entfernt und gehe zu Fuß zu der Gasse auf der Rückseite der Anwesen. Als ich das richtige Haus erreiche, springe ich über den Zaun, ducke mich, beobachte und lausche.
Ich habe meine Pistole in der Hand, diesmal schussbereit. Aber ich kann wohl kaum darauf hoffen, dass Burke an einem der Fenster vorbeigehen wird. Es wäre ja auch zu schön, wenn ich ein klares Ziel bekäme und einen Schuss abgeben könnte, ohne mich zu verraten oder zu riskieren, dass sie flieht. Wieder einmal.
Ich sehe und höre nichts Ungewöhnliches. Das Haus ist dunkel. Das einzige Geräusch ist das ferne Rauschen der Wellen am Strand, etwa sechs Häuserblocks entfernt. Ich spüre nichts, auch nicht die seltsamen Schwingungen, die Culebra umgaben. Ein schlechtes Zeichen. Müsste ich nicht irgendetwas spüren, wenn ich so nah an einem Ort bin, an dem ein mächtiger Zauber gewirkt wird?
Ich berühre das Amulett an meinem Hals. Würde es mir nicht eine Warnung schicken?
Die Fenster auf der Rückseite sind mit Fensterläden verschlossen. Ich schleiche näher heran und versuche, zwischen den Lamellen hindurchzuspähen, aber es nützt nichts. Also schleiche ich mich nach vorn, tief geduckt, damit mich von der Straße aus niemand sieht. Es ist drei Uhr früh, aber man weiß ja nie, wann irgendein lästiger, an Schlaflosigkeit leidender Nachbar beschließt, den Hund Gassi zu führen.
Sobald ich ein Fenster finde, hinter dem die Vorhänge weit genug offen stehen, um hineinzuspähen, wird mir klar, warum ich absolut nichts in diesem Haus spüre. Das Wohnzimmer ist leer, ebenso das Esszimmer dahinter. Kein Sofa, kein Tisch, keine Stühle. Nichts, nur Leere, von der Vorderseite des Hauses bis nach hinten durch. Scheiße. Meine praktischen Picks öffnen mir die Hintertür. Ich halte inne und warte ab, ob ich einen Alarm ausgelöst habe, höre aber nichts. Trotzdem kann in irgendeiner Sicherheitsfirma Alarm ausgelöst worden sein, aber bis jemand hier ist, um nachzusehen, werde ich längst wieder weg sein.
Ich laufe einmal durchs Haus, nur um sicherzugehen – könnte ja sein, dass Burke sich noch nicht die Zeit genommen hat, ihr neues Haus einzurichten. Aber nirgends steht ein einziges Möbelstück, es gibt keinen Topf in der Küche. Sämtliche Einbauschränke sind leer. Ich finde nicht einmal einen
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