Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
Papierschnipsel. Wenn sie hier gewohnt hat, ist sie wohl ausgezogen. Eine Sackgasse. Erschöpfung überkommt mich, Erschöpfung und Schuldgefühle. Culebra schwebt immer noch in Lebensgefahr, und Burke ist mir einmal mehr entwischt.
Ich schlüpfe wieder nach draußen und wähle Culebras Handynummer. Sandra geht dran. Frey schläft, und Culebras Zustand ist unverändert. Ich bringe es nicht über mich, Sandra zu sagen, dass ich der Lösung des Problems kein Stück näher gekommen bin. Also lüge ich und behaupte, morgen würde ich mehr wissen. Ich sei kurz davor, Burke festzunageln. Falls Sandra mir meine Verzweiflung anhört, lässt sie sich jedenfalls nichts anmerken. Vielleicht lügt sie ebenso gut wie ich.
Als ich wieder im Auto sitze, rufe ich Ortiz an. Ich berichte ihm, was ich gefunden habe, oder vielmehr, dass ich nichts gefunden habe. Außerdem sage ich ihm, dass ich zu müde bin, um heute Nacht noch mehr zu versuchen. Morgen werde ich noch einmal zu dem Fabrikgebäude gehen und ganz von vorn anfangen. Ich werde diese Empfangsdame grillen. Sie muss doch mit ihrer Chefin Kontakt aufnehmen können. Die menschliche Anna oder auch die Vampirin wird die Information schon aus ihr herausbekommen.
Aber jetzt gehe ich erst einmal nach Hause. Ortiz erbietet sich, Williams anzurufen und Bericht zu erstatten. Das Angebot nehme ich gerne an, und wir verabschieden uns fürs Erste.
Sobald ich durch die Tür meines Strandhauses trete, spüre ich etwas. Es ist so subtil wie der fallende Luftdruck vor einem Sommergewitter. Jemand ist hier. Ich bleibe stehen, koste die Luft und setze all meine übernatürlichen Sinne ein. Es ist eine Sie, menschlich, und sie ist oben in meinem Schlafzimmer.
Der Vampir in mir reagiert ganz instinktiv. Ich schleiche mich wieder hinaus, unter den Balkon vor meinem Schlafzimmer, und springe hinauf. Ich lande lautlos, schwerelos auf allen vieren und spähe nach drinnen.
Eine Frau liegt auf meinem Bett. Sie ist geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. In der Stille höre ich ihre mühsamen Atemzüge. Ich höre ihr Herz panisch klopfen, während sie sich von ihren Fesseln zu befreien versucht. Ich rieche ihre Angst, scharf und beißend wie Bittermandeln. Und noch etwas. Ich rieche ihr Blut.
Kapitel 19
Die Schiebetür zu meinem Schlafzimmer steht offen. Ich schlüpfe nach drinnen, so leise, dass sie mich gar nicht bemerkt. Sie blutet aus einem Dutzend kleiner Schnitte an Armen und Beinen. Das Blut tropft von dem Seil, mit dem sie gefesselt ist, und sickert unter ihr ins Bett. Der Lockruf ist stark. Ich gehe einen Schritt auf sie zu.
Sie ist nackt. Ihre Hände sind über dem Kopf gefesselt, und sie hat das Gesicht von mir abgewandt, zur Schlafzimmertür hin. Entweder hört sie eine Bewegung, oder ihr Instinkt schlägt Alarm. Sie dreht den Kopf. Der Knebel bedeckt ihren Mund und das Kinn. Ich erkenne sie nicht. Als sie mich sieht, weiten sich ihre Augen, sie beginnt zu keuchen, und ihr Herzschlag wird zu einem Donnern, das ihr Blut schneller durch die Adern jagt. Die Schnittwunden bluten stärker.
Ich muss gegen den überwältigenden Drang ankämpfen, an diesen blutenden Wunden zu lecken. Ich habe vor zwei Wochen von einem Menschen getrunken, aber trotzdem habe ich Hunger. Jetzt. Und da liegt ein blutiges Festmahl. Der Vampir in mir beginnt die Gier zu rechtfertigen. Warum sollte ich nicht trinken? Sie ist in meinem Haus, in meinem Bett, Herrgott noch mal. Ich werde sie ja nicht umbringen, sondern nehme mir nur, was ich brauche. Ich kann es sehr angenehm für sie machen. Es wäre so einfach.
Die menschliche Anna drängt sich dazwischen. Du wirst nicht von dieser Frau trinken. Sie wurde gefesselt hier abgelegt. Sie ist kein Wirt, und sie hat Angst. Reiß dich verdammt noch mal zusammen und binde sie los. Das wirkt wie ein eiskalter Guss. Mein Kopf wird klar, die Blutlust verebbt von rasender Gier zu einem dumpfen Verlangen. Offenbar verschwinden die animalischen Züge aus meinem Gesicht, denn der Körper der Frau entspannt sich leicht, ihr Puls schlägt langsamer. Doch in ihren Augen steht immer noch blankes Entsetzen.
Ich nähere mich mit ausgestreckten Händen dem Bett. »Haben Sie keine Angst. Ich werde Ihnen nichts tun. Das ist mein Haus.«
Sie versucht, vor mir zurückzuweichen, doch einer ihrer Knöchel ist an das Fußende des Bettes gefesselt. Mit dem freien Bein tritt sie nach mir. Meine Worte mögen beruhigend klingen, aber sie erinnert sich genau an das Gesicht der Vampirin,
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