Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
benachbarten Ladetor. Er versucht es genau so, wie ich hier hereingekommen bin. Ich renne zu der Stelle hinüber und hämmere mit den Fäusten gegen das Metall, bis es nachgibt. Hier ist keine Schweißnaht, also bohre ich die Finger in die Wand und reiße mit Fingernägeln und schließlich auch den Zähnen ein Loch hinein. Dann zerre ich mit beiden Händen am Metall, um das Loch zu vergrößern und besser zupacken zu können. Endlich kann ich ein Stück Stahlblech zurückbiegen.
Es geht schwer. Das Blut meiner zerschnittenen Handflächen macht alles glitschig. Ich ignoriere das Blut und den Schmerz und arbeite weiter, bis starke Hände mich an den Handgelenken packen und nach draußen ziehen. Die Hände schleifen mich weg von dem Gebäude und über den Parkplatz. Mir ist nicht bewusst, dass ich die Augen zugekniffen habe, bis sie sich öffnen und ich in den Himmel hinaufstarre.
Ein Gesicht blickt auf mich herab. Alles in Ordnung? Meine Retterin ist eine Frau mittleren Alters mit einem gütigen, freundlichen Gesicht.
Ich versuche, mich aufzurichten. Als ich die Handflächen auf den Asphalt presse, schießen Schmerzen wie glühende Dolche meine Arme hinauf. Ich schaue an mir herab und sehe lange, schartige Schnittwunden wie makabre Lebenslinien auf meinen Handflächen. Meine Nägel sind bis zum Nagelbett zerfetzt. Mein Rücken tut weh, weil ich über den Asphalt geschleift wurde, mein linker Arm schmerzt, und vom Rauch da drin tränen mir immer noch die Augen.
Ich schaue zu dem Fabrikgebäude hinüber, das nun vollständig in Flammen steht. Rauch verhüllt die Sonne und steht vor dem Himmel wie zornige Gewitterwolken. Ich sehe Ortiz – der in einem Augenblick noch vor mir steht und im nächsten verschwunden ist. Sein Gesicht, gelassen und annehmend, wird mich noch lange verfolgen.
Da sind auch noch die kühle Nachtluft an meiner Haut, der Gestank von Asphalt und versengtem Gummi und das Tosen der Flammen.
Ich lebe noch. Auf einmal merke ich, dass ich mich noch nie besser gefühlt habe.
Kapitel 29
Die Frau, die mich nach draußen geschleift hat, kniet neben mir und sieht mir aus nächster Nähe ins Gesicht. Sie hat langes, hellbraunes Haar, durchsetzt mit Grau und aus dem Gesicht zurückgestrichen. Ihre Augen sind tiefblau und funkeln von einem inneren Leuchten. Sie strahlt große Güte aus.
Sie ist ein Vampir. Ich habe noch nie einen Vampir kennengelernt, der nicht jung war – oder zumindest jung aussah. Ehe ich diesen Gedanken blockieren kann, lacht sie auf.
Wir werden nicht alle in jungen Jahren verwandelt. Wie du siehst, war ich über fünfzig. Das ist wirklich kein schlechtes Alter, um zum Vampir zu werden. Mit den mittleren Jahren kommt eine gewisse Weisheit.
Weisheit ist etwas, wovon Anna nicht viel Ahnung hat.
Williams’ Stimme drängt sich in unsere geistige Konversation. Er nähert sich von hinten, und als ich mich umblicke, sehe ich mehrere Männer, die den verletzten Vampirinnen helfen. Sie decken sie zu und führen sie zu einigen Lieferwagen, die im Halbkreis am hinteren Ende des Parkplatzes stehen. Alle Helfer sind Sterbliche.
Das ging ja schnell, sage ich. Wie hast du das arrangiert?
In der Nähe ist ein sicheres Haus. Ich habe dort angerufen, und sie haben ihre Helfer mobilisiert.
Werden die Frauen wieder?
Williams nickt. Diese Menschen werden sich um sie kümmern. Wir können ihnen die Halsbänder erst abnehmen, wenn sie wieder zu Kräften gekommen sind.
Ich schüttele schaudernd den Kopf. Was sind das für Dinger? So etwas habe ich noch nie gesehen. Allein beim Gedanken daran, wie ich diese Vampirinnen gefunden habe, beginne ich zu zittern. Sie hat sie angezapft.
Ich habe so etwas schon gesehen, entgegnet Williams. Auf Bildern. Solche Halsbänder haben wir früher benutzt, die Vampire in alten Zeiten, um Menschenblut zu gewinnen. Irgendjemand hat ein sehr gutes Gedächtnis und trägt gewaltigen Hass in sich, dass er sie jetzt an uns benutzt.
Nicht irgendjemand. Belinda Burke. Die Hexe.
Williams sieht sich um . Du hast doch gesagt, Ortiz sei hier. Wo ist er?
Bei seiner Frage wird mir angst und bange. Er weiß es noch nicht. Und ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll. Ich zwinge mich aufzustehen, mit hämmerndem Herzen und schwindelig vor Beklommenheit. Williams spürt sie. Er tritt einen Schritt näher.
»Wo ist Ortiz?«
Auch die Frau neben uns spürt meine Angst. Sie legt mir eine Hand auf die Schultern. »Vielleicht gehst du besser mit den anderen mit. Du musst dich
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