Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
die gleiche Macht über mich zugestehe. Williams spürt meine Entschlossenheit. Er versucht, dagegen anzukämpfen, aber das lasse ich nicht zu. Ich kehre seine Wut gegen ihn. Der Kanal zwischen uns zerspringt mit einer beinahe spürbaren Explosion von Energie. Im selben Moment wird mein Kopf klar, und mein Körper ist wieder frei.
Williams fährt zurück. Er versucht, mich wieder in den Griff zu bekommen. Aber diesmal habe ich die Lage unter Kontrolle. Ich packe seinen Geist mit so festem Griff wie er eben den meinen. Ich verdrehe das geistige Band zwischen uns, bis ich spüre, dass er sich meinem Willen unterwirft. Ich verstehe deine Trauer. Du standest Ortiz sehr nahe.
Nahe? Du hast ja keine Ahnung. Seine Wut flammt wieder auf. Aber du wirst es schon noch begreifen. Dafür werde ich sorgen.
Mein Arm pocht schmerzhaft, und die Wunden an meinen Händen brennen, weil ich die Fäuste geballt habe. Zu viel ist passiert, heute und in der Vergangenheit. Ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich beuge mich zu Williams vor.
Du hast mich zum letzten Mal manipuliert. Wir werden diese Sache zu Ende bringen. Ich brauche deine Unterstützung, um Culebra zu helfen. Aber danach wirst du meine Fragen beantworten, und dann sind wir beide fertig miteinander.
Er sieht mich gleichgültig an. Das hast du schon ein Dutzend Mal gesagt. Wir sind erst fertig, wenn ich es sage.
Ich lasse mich auf keinen Kampf mehr ein. Ich gebe ihn frei. Tatsächlich habe ich das schon öfter gesagt. Aber diesmal ist es anders. Ich habe dieses Spielchen satt. Culebra kommt an erster Stelle. Sobald er gerettet ist, wenn Burke tot ist, wenn ich von Williams die Informationen bekommen habe, die ich brauche, um zu verstehen, was ich bin – dann wird es vorbei sein.
In der Ferne heulen Sirenen. Die Lieferwagen rasen vom Parkplatz. Nur einer wartet noch. Die Frau nimmt Williams beim Arm und zieht ihn dorthin.
Ich bleibe allein zurück und renne schließlich den Hügel hinauf zu meinem Auto. Das Sirenengeheul wird lauter, und als ich mich umblicke, sehe ich blitzendes Blaulicht näher kommen. Der letzte Lieferwagen fährt weg, und nur Sekunden später biegen die heulenden Feuerwehrwagen auf den Parkplatz der Fabrikhalle ein. Rauch und Feuer quellen aus den zerstörten Fenstern und Türen. Mit einem gewaltigen Krachen bricht das Dach ein. Flammen schießen in den Himmel wie ein Vogel aus einem Käfig.
Was werden die Feuerwehrleute in der abgebrannten Ruine finden? Ortiz’ Dienstmarke? Seine Waffe? Wird überhaupt irgendetwas übrig bleiben?
Das hoffe ich. Er hat das Andenken eines guten Polizisten verdient.
Weitere Wagen rasen die Straße entlang. Neugierige, nehme ich an, vom Rauch und den Sirenen angelockt. Zum ersten Mal verschwende ich einen Gedanken daran, wie ich aussehen muss. Müde blicke ich auf meine zerrissene Jeans, die blutigen Hände und die rußgeschwärzte Haut herab. Ich sollte lieber verschwinden, ehe ich noch jemandem auffalle.
Kapitel 30
Ich bin fix und fertig. Brühheißes Wasser plätschert auf mich herab, und Seife und Shampoo waschen den Gestank und Ruß des Feuers von meiner Haut. Aber das Bild bleibt mir.
Ortiz. Sein Gesicht, ehe die Flammen ihn verschlangen. Sein Gesicht, als wir uns gestern Nacht in meiner Küche unterhalten haben. Das ist kaum zwölf Stunden her. Jetzt ist er fort.
Ich steige aus der Dusche und schlüpfe in saubere Klamotten. Die Schnittwunden an meinen Händen haben sich bereits geschlossen, und der Schmerz in meinem linken Arm ist zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Mein Körper summt vor heilender Energie.
Ich wünschte, meine Seele wäre ebenso leicht zu heilen. Hätte ich Ortiz tatsächlich retten können?
Ich weigere mich, das zu glauben. Williams treibt nur wieder seine Spielchen mit mir. Wenn ich wirklich solche Fähigkeiten hätte, wie er behauptet, müsste ich das doch wissen.
Oder nicht?
Alles, was ich am Vormittag angezogen habe, kommt in einen Müllsack. Selbst wenn ich die Blutflecken herauswaschen könnte, würde der Brandgeruch bleiben. Und die Erinnerungen. Im Schlafzimmer fällt mein Blick auf das Bett. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es wieder zu machen, nachdem die Polizei sämtliche Bettwäsche mitgenommen hat. Am liebsten würde ich mich auf die nackte Matratze legen und die Augen schließen. Ich habe seit zwei Tagen nicht geschlafen.
Doch ein anderes Bild vertreibt jeden Gedanken an Schlaf aus meinem Kopf. Culebra – dem Tode nahe.
Als ich Frey anrufe, geht er selbst
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