Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
Mit den Fäusten hämmere ich gegen das Metall.
Ja! Ein Chor verzweifelter Stimmen. Wir hören dich! Ich dresche auf das Metall ein, bis es nachgibt. Ich reiße ein großes Stück auf und biege es nach innen. Dort ist es dunkel, und Rauch quillt heraus wie ein Dschinn aus einer Flasche. Ich schlüpfe durch die Öffnung, und sobald meine Augen sich an den Rauch und die Dunkelheit angepasst haben, folge ich den schreienden Stimmen in meinem Kopf.
Ich folge ihnen zu einer Szene wie aus der tiefsten Hölle.
Kapitel 27
Es sind insgesamt zwölf. Jung, weiblich. Sie sind nackt und hängen kopfüber an der Decke, die Hände mit Silberketten auf den Rücken gefesselt. Als ich in den Raum eindringe, schlägt mir ihre Erleichterung entgegen. Sie ist beinahe greifbar und erfüllt mich mit Panik. Panik, weil sie glauben, ich könnte sie retten. Ihre Erwartung und Dankbarkeit überfluten meine Sinne. Aber ich weiß noch nicht, ob ich sie retten kann.
Ich weiß nicht, wie. Ich verschließe meine Gedanken, während ich von einer zur nächsten gehe. Meine eigenen Sinne sträuben sich so heftig, dass ich all meine Kraft brauche, diese Abscheu zu verbergen. Ich ringe den Ekel nieder. Sieh sie an, Anna, überleg dir, wie du sie befreien kannst.
Jede Vampirin trägt ein metallenes Halsband. An jedem Halsband steckt eine Art Zapfen mit einem spitzen Ende. Die Spitze ist in den Hals der Vampire gebohrt, direkt in die Halsschlagader. Am anderen Ende hängt ein Schlauch. Blut tropft durch die Schläuche und sammelt sich in Beuteln. Unter den beiden Vampirinnen ganz hinten sind Blutflecken am Boden, wo die letzten Tropfen herabgefallen sind. Für diese beiden kommt jede Hilfe zu spät. Ihnen ist das Leben restlos abgezapft worden.
Ich kneife die Augen zu. Einen Moment lang vergesse ich ganz, warum ich hier bin. Vergesse die Hitze, die immer intensiver wird, und ignoriere die Schreie der Vampire, während die Flammen immer näher kommen. Ich kann nur eines denken: Warum sollte Belinda Burke so etwas tun? Hasst sie Vampire so sehr, dass sie sich diese komplizierte, grauenvolle Methode ausgedacht hat, sie umzubringen? Hatte sie vor, auch mich hierherzubringen, nachdem sie mit ihrer Rache an Culebra und Frey fertig ist? Der Gedanke erfüllt mich mit Entsetzen.
Warum hat sie es sich dann anders überlegt? Warum hat sie beschlossen, ihre höllische Folterkammer jetzt zu zerstören und die Vampire, die hier gefangen sind, verbluten oder von den Flammen verschlingen zu lassen? Die Flammen.
Die gequälte Stimme einer der Vampirinnen bringt mich zur Vernunft. Ich verbanne Angst und Hass weit in meinen Hinterkopf. Wie kann ich diese Frauen retten? Ich tue das Einzige, was mir einfällt. Mit zitternden Händen gehe ich von einer zur anderen und drehe an den Zapfen, bis das Blut zu fließen aufhört. Ich weiche ihren Blicken aus. Ich habe Angst vor dem, was ich in ihren Augen sehen würde. Ich löse die Schläuche und Ketten und lasse sie alle sanft und vorsichtig zu Boden herab. Die Halsbänder fasse ich nicht an. Ich habe keine Ahnung, was passieren könnte, wenn ich sie abzunehmen versuche, aber die Tatsache, dass mich bei der bloßen Berührung vor Qual schaudert, hält mich zurück. Ich löse die Fesseln an ihren Händen.
Die vier ganz vorn kommen aus eigener Kraft auf die Beine. Die weiter hinten sind zittriger, und ich helfe ihnen auf. Langsam und schwerfällig verlassen wir den Raum. Die Stärkeren stützen die Schwächeren. Wir treten hinaus unter einen apokalyptischen Himmel. Rauch und Asche verwandeln den Vormittag in einen düsteren Abend. Wir klammern uns aneinander und schleppen uns in den Schutz der Bäume am Rande des Parkplatzes. Erst, als wir ein Stück von dem Gebäude weg sind, packt mich eine der Frauen am Arm.
»Da ist noch jemand«, sagt sie. Ich blicke zu der Halle zurück. Der Qualm ist jetzt dichter und quillt auch aus dem Eingang zu der unterirdischen Folterkammer hervor. Der Luftzug durch das Loch, das ich gerissen habe, zieht die Flammen dorthin.
»Noch jemand?«
»Kam kurz vor der Explosion. Bewusstlos.«
»Ich glaube nicht, dass ich da noch einmal hineinkann.«
Sie nickt traurig. »Er wird wohl gar nicht mitbekommen, was mit ihm geschieht.«
Mein Herz macht einen Satz. »Er?«
»Ein junger männlicher Vampir. In einer Polizeiuniform.«
Die Zeit bleibt stehen. Ich fische mein Handy aus der Tasche, drücke auf eine Kurzwahltaste und reiche ihr das Telefon. »Wenn ein Mann namens Williams drangeht, sag ihm, wo
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