Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
deutlich ihre Frustration aus. Die beiden anderen sehen zu. Jede hält eine Kerze in den Händen, und sie singen leise und monoton vor sich hin.
Susan Powers blickt auf, als wir eintreten. Sie berührt die junge Hispano-Amerikanerin am Arm. Ariela Acosta winkt uns herein. »Es funktioniert nicht, oder?«, frage ich.
Min lässt das Pendel sinken. »Es tut mir leid. Die Hexe schützt sich gut.«
»Sie hat einen sehr starken Abwehrzauber errichtet«, erklärt Susan. »Dagegen können wir nichts ausrichten.«
Ich sinke auf einen Stuhl nieder und schlage die Hände vors Gesicht. Culebra kämpft um sein Leben. Ortiz ist tot. Und das ist meine Schuld. Ich hätte die Hexe in dem Restaurant nicht angreifen dürfen. Damit habe ich ihr verraten, dass ich ihr auf der Spur bin. Jetzt ist sie abgetaucht, und mir bleibt keine Fährte mehr, der ich folgen könnte, um sie zu finden.
Es klopft an der Tür. Williams macht auf, und ein Mann reicht ihm ein Blatt Papier. Er faltet es auf, wirft mir einen Blick zu und schüttelt den Kopf. Selbst seine kleine Armee von Hellsehern kann nichts finden. Erschöpfung bricht über mich herein. Ich spüre, wie aufgewühlt und unglücklich die drei Frauen neben mir sind. Ihr Mitgefühl lässt mich meine eigene Nutzlosigkeit nur noch deutlicher spüren.
Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagen soll. Ich ziehe den Talisman unter meiner Bluse hervor. »Den kann ich euch wohl gleich zurückgeben.«
Min legt eine Hand auf meine. »Nein. Behalte ihn.« Ihre Augen funkeln vor neuer Entschlossenheit. »Gib nicht auf, Anna. Das werden wir auch nicht tun.«
Williams beobachtet uns, eigenartig schweigsam. Diese Frauen kennen mich nicht, aber er schon. Er versteht, wie fremd mir diese Situation ist. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich habe keine Idee, keinen Ansatzpunkt, keine Möglichkeit mehr, Culebra zu retten.
Williams lässt mich allein zurück und begleitet die drei Hexen hinaus. Jason ist weg. Die Akte ist weg. Burke ist weg.
Wieder wünsche ich mir so sehr, ich hätte die Sache anders angepackt – ich hätte die Akte über die Versuchspersonen kopieren müssen, statt das Original zu stehlen. Damit habe ich alles angestoßen, was danach kam, auch Ortiz’ schrecklichen Tod.
Mir bleibt nur eine letzte Hoffnung. Vielleicht kennt Gloria eine Möglichkeit, mit Simone Tremaine in Verbindung zu treten. Doch diese Hoffnung zerschlägt sich sogleich, denn die Telefonistin des Four Seasons sagt mir, dass Gloria ausgecheckt habe und auf dem Weg zur Fashion Week in Europa sei.
Gloria hat keine Zeit vergeudet und andere Wege gefunden, ihr Foto in die Medien zu bringen, nachdem die Launch Party für Eternal Youth abgesagt werden musste. Entweder das, oder sie will sich vom Umfeld der Ermittlungen wegen Brandstiftung distanzieren, und zwar buchstäblich.
Mist. Der Vorwurf der Brandstiftung dürfte Glorias geringstes Problem sein, wenn die Creme mit den ermordeten Versuchspersonen in Zusammenhang gebracht wird.
Williams kehrt zurück. Seine Stimmung ist ebenso düster wie meine – das liegt an der Hilflosigkeit, die wir empfinden, und an den Schuldgefühlen. Wir gehen sehr vorsichtig miteinander um.
»Wie geht es Brooke?«, erkundige ich mich schließlich.
»Sehr schlecht. Ich wünschte, ich könnte mehr für sie tun. Ortiz wird am Freitag mit allen offiziellen Ehren beerdigt.« Beerdigt ist ein netter Euphemismus. Wir beide wissen, dass von Ortiz nichts übrig ist, was man beisetzen könnte. Bei der Erinnerung an sein Ende wird mir plötzlich kalt.
»Das ist eine schöne Geste. Ortiz hat eine Ehrung verdient.« Meine Gedanken schweifen wieder zu Jason ab. Da fällt mir die Spritze ein. Ich hole sie aus der Jackentasche. »Ich weiß nicht, was das ist. Ich glaube, Jason wollte es gerade dem Mädchen verabreichen, das er in seine Wohnung gelockt hatte. Die Mädchen bei Rose haben alle berichtet, dass sie betäubt wurden. Vielleicht ist dieses Zeug der Grund dafür, dass sie so anders sind.«
Williams nimmt die Spritze von meiner ausgestreckten Hand. »Ich schicke sie gleich ins Labor.«
Er tritt beiseite, als ich aufstehe, um zur Tür zu gehen. »Was hast du jetzt vor?«
Mir bleibt nur noch eines, was ich tun kann. »Ich besuche Culebra. Und Frey.«
»Was wirst du ihnen sagen?«
Ich schließe die Augen und wende mich ab. Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen werde. Aber ich fürchte, es könnte »Auf Wiedersehen« sein.
Kapitel 37
Der Stau am
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