Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
mir zu antworten – als hätten wir keine andere Möglichkeit, uns zu verständigen. Er weicht meiner Frage aus. Das Flugzeug, dem wir uns nähern, ist ein Learjet.
Er sieht gar nicht mehr so klein aus, wenn man danebensteht. Die Tür geht auf, und ein Mann am Kopf einer kurzen Treppe bedeutet mir, an Bord zu kommen.
Williams scheucht mich mit einer Geste voran und formt mit den Lippen die Worte: »Guten Flug.«
Doch als ich gerade losgehen will, legt er mir eine Hand auf den Arm. Er packt nicht fest zu, sondern hält mich nur zurück. Denk daran, ich will diese Burke. Komm mir in dieser Sache nicht in die Quere, Anna. Ich habe auch eine Rechnung mit ihr zu begleichen. Seine Augen glitzern hart und bedrohlich.
Das ist der Williams, den ich kenne. Ich schüttele seine Hand ab und steige die Treppe hinauf. Als ich mich an der Tür noch einmal umdrehe, ist Williams schon verschwunden.
Der Mann, der mich an Bord gebeten hat, stellt sich mir als der Pilot vor. Er ist etwa fünfzig, groß, gut gebaut und hat graues Haar. Er trägt eine typische PilotenUniform – aber das Emblem auf seinem Jackett und der Mütze erkenne ich nicht. Vielleicht eine Art Wappen. Auf seinem Namensschild steht »Tom Lawson«. Er strahlt gelassene Kompetenz aus, und er ist ein Sterblicher. Nach ein paar kurzen Sicherheitshinweisen verschwindet er im Cockpit. Das Heulen der Triebwerke wird lauter.
Ich lasse mich in einem der Sitze nieder, schnalle mich an und sehe mich um. Ich war noch nie in einem Privatjet. Sechs überdimensionale Flugzeugsitze in beigefarbenem Leder sind in der Hauptkabine verteilt. Im hinteren Bereich ist eine Bar. Ich habe dicken Teppichboden unter den Füßen. Sündhaft komfortabel. Rechts neben der Bar ist eine geschlossene Tür. Vielleicht die Toilette?
Der Jet schleicht geduckt zur Startbahn und wartet dort, bis wir an der Reihe sind. Nach ein paar Minuten erscheint ein weiterer Mann in der gleichen Uniform in der Tür zum Cockpit. Er ist etwa Mitte dreißig, kleiner als Tom, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Er streckt die Hand aus. »Ich bedauere die Verzögerung, Ms. Strong. Ich bin Jeff Shelby, der Copilot. Der Flugkapitän hat mich gebeten, Ihnen Bescheid zu sagen, dass wir in etwa zehn Minuten starten können.«
Nach einem höflichen Händedruck wendet er sich zum Gehen. »Entschuldigung, einen Moment. Ich bin neugierig – gehört dieses Flugzeug Mr. Williams?«
Er dreht sich wieder zu mir um und runzelt verwundert die Stirn. »Ich verstehe nicht … Das war früher Dr. Averys Flugzeug. Mr. Williams sagte, es gehöre jetzt Ihnen.«
Ich lache auf. »Na klar doch.« Doch Shelby lächelt nicht. Der Jet gehört mir? Warum überrascht mich das noch? Nur eines von vielen Spielzeugen, die Avery gehörten. Kein Wunder, dass Williams so schnell verschwunden ist. Er wollte aus der Gefahrenzone heraus sein, wenn ich das erfahre.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?« Ich verneine, und er zieht sich ins Cockpit zurück. Ich lehne den Kopf an den Sitz.
Seit ich zum Vampir geworden bin, ist Avery quasi eine permanente Einmischung in mein Leben. Jedes Mal, wenn ich glaube, sein verdammtes Vermächtnis losgeworden zu sein, taucht wieder etwas von ihm auf. Doch um bei der Wahrheit zu bleiben, bin ich in diesem Moment sehr froh, dieses Flugzeug zu haben. Je schneller ich nach Denver komme und diese – ich krame den Zettel aus meiner Jackentasche und suche nach dem Namen – diese Sophie Deveraux aufspüre, desto eher kann ich zurückkommen und Culebra und Frey helfen.
Eine Stimme dringt leicht knisternd aus den Lautsprechern. »Wir starten als Nächste, Ms. Strong. In fünf Minuten sind wir in der Luft. Die Flugzeit nach Denver beträgt etwa zweieinhalb Stunden. Lehnen Sie sich zurück, schnallen Sie sich an und genießen Sie den Flug.«
Das Flugzeug rollt zur Startposition. Ich beobachte die Umgebung der Startbahn durch das Fenster. Grauen kribbelt in meiner Magengrube. Den Flug genießen? Nicht, wenn mir nur vierundzwanzig Stunden bleiben, um meine Freunde zu retten.
Kapitel 39
Ein kleiner Jet steigt nicht langsam, er hüpft eher in den Himmel. Das ist ein seltsames Gefühl. Ich sehe durch eine Lücke in den Wolken zu, wie Land und See unter mir entschwinden, als das Flugzeug eine Kurve nach Osten nimmt. Dann werden wir wieder von den Wolken verschluckt, und ich sehe nur noch Weiß. Ein paar Minuten später fliegen wir über den Wolken dahin, und der Himmel strahlt in makellosem Blau.
Die Lautsprecheranlage
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