Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
Aufmerksamkeit gilt ebenfalls Sophie, ist aber nicht so positiv. »Glaubst du, wir können ihr trauen?«, fragt er schließlich.
»Bleibt uns etwas anderes übrig?«
Er ballt die Hände zu Fäusten. »Ich werde Ortiz’ Tod rächen. An Belinda Burke oder ihrer Schwester, das ist mir gleich.« Ich spreche es nicht aus, doch dieses eine Mal sind wir uns einig.
Die Ungeduld macht mich kribbelig. Ich will endlich weiterkommen. Jede Stunde bringt meine Freunde dem Tod ein Stück näher. Als ich gerade nach Sophie rufen will, verschwindet sie mit der Alten im Haus.
Ich stürme zum Tor, um ihnen zu folgen. Ich will Sophie nicht aus den Augen lassen. Williams packt mich am Arm und hält mich zurück. »Sie kommt wieder. Warte hier.« Ich funkele ihn böse an und reiße mich los. Ich gebe ihr zehn Minuten.
Nach acht Minuten erscheint sie mit einer großen Einkaufstüte in der Hand. Sie kommt auf uns zu, mit einem zufriedenen, freudigen Lächeln auf dem Gesicht. Sie nimmt auf dem Rücksitz Platz und wartet, bis wir ebenfalls eingestiegen sind. Dann sagt sie: »Was für ein wunderbares Haus.«
Deveraux’ Stimme klingt scharf wie ein Rasiermesser. Machst du Witze? Herrgott. Da drin hat es gestunken wie in der Küche einer Leichenhalle – nach gekochtem Kohl und fauligem Fleisch. Ich konnte es kaum erwarten, da wieder rauszukommen.
Ich blicke zu Williams hinüber und warte ab, wie er auf Deveraux’ Bemerkung reagieren wird. Er reagiert überhaupt nicht. Er hat den Motor schon angelassen und dreht sich halb herum, um Sophie anzusehen. »Haben Sie alles bekommen, was Sie brauchen?«
Sophie antwortet: »Ja. Ich habe alles.« Daraufhin wendet Williams sich wieder nach vorn und fährt los.
Du hast das nicht gehört?, frage ich ihn.
Was soll ich gehört haben? Was Sophie gesagt hat? Doch, ich habe sie gehört.
Ich zögere und überlege, wie oder ob ich ihm von Sophies gespaltener Persönlichkeit berichten soll.
Warum willst du ihm etwas sagen ?, mischt sich Deveraux ein . Er kann mich nicht hören. Womöglich würde er dir gar nicht glauben. Er mag dich nicht. Wenn du ihm sagst, dass du die Stimme eines Vampirs aus dem Körper einer Hexe hörst, misstraut er dir nur noch mehr.
Ob ich was gehört habe? , wiederholt Williams. Ich lehne mich zurück. »Ach, nichts.«
Kapitel 45
Ein halbes Dutzend Autos stehen vor der Bar, als wir in Beso de la Muerte ankommen. Das fasse ich als gutes Zeichen auf. Wenn die Bar geöffnet ist, steht es vielleicht nicht so schlimm, wie ich befürchte. Ich sage Williams, dass er hinten herum weiterfahren soll, zu den Höhlen.
Als wir dort halten, beginnt mein Herz zu hämmern. Diesmal nicht wegen irgendwelcher Nebenwirkungen des Zaubers, der auf Culebra liegt, sondern aus Angst. Ich konnte mich nicht überwinden, von unterwegs aus anzurufen und Frey zu sagen, dass wir kommen. Wenn er drangegangen wäre und mir gesagt hätte, dass Culebra gestorben ist, oder, schlimmer noch, wenn er gar nicht abgenommen hätte… Ich weiß nicht, ob ich meine Wut dann noch hätte zügeln können. Oder Williams’
Zorn.
Sophie steigt mit der Einkaufstüte aus dem Auto und folgt Williams und mir in die Höhle. Die Stille hüllt mich ein wie eine dicke Decke. Sie ist unheimlich, und ich bekomme eine Gänsehaut an den Armen. Es ist nichts zu hören außer unseren sehr unterschiedlichen Schritten – Sophies Reitstiefel mit Gummisohlen, Williams’ hart besohlte Slipper und meine weichen Tennisschuhe. Wir könnten ganz allein im Universum sein, so vollkommen ist das Gefühl der Isolation.
Ich hoffe, dass es tatsächlich nur das ist – ein Gefühl – und wir hier drin nicht wirklich allein sind.
Bis wir uns dem Bereich nähern, wo ich Frey und Culebra zuletzt gesehen habe, habe ich mich in eine ängstliche Erregung hineingesteigert. Meine Brust ist wie zugeschnürt, mein Puls rast, meine Handflächen sind schweißnass. Ich wische sie mir an der Jeans ab und rufe: »Frey? Ich bin’s, Anna.« Die Worte hallen von den Höhlenwänden wider.
»Frey? Bist du da?« Wir biegen um die letzte Ecke, und ich renne los. Warum antwortet er nicht?
Williams und Sophie folgen mir dicht auf den Fersen. Ich spüre ihre Panik, und sie steigert noch meine eigene. »Frey? Antworte mir!«
Wir platzen in den Lazarettraum. Rutschend bleibe ich stehen. Da ist die Liege. Leer. Nein. Ich sehe mich hektisch um und suche nach irgendeinem Hinweis. Sie können doch nicht weg sein. Williams knurrt, und ich wirbele zu ihm herum. Er hat
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