Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
bleibt, um uns ein paar scharfe Worte zuzuwerfen. »Culebra und Frey sind in der Bar. Wir haben sie dorthin gebracht, damit sie es bequemer haben. Warum habt ihr nicht erst dort vorbeigeschaut?«
Culebra und Frey leben noch. Ich sehe Sandra nach, die Sophie den Pfad durch die Höhlen entlangführt, und meine Wangen brennen vor Scham. Wir hätten sie beinahe umgebracht. Wie bereitwillig wird sie jetzt noch sein, uns zu helfen?
Ich strecke die Fühler nach Williams’ Gedanken aus. Ich empfange nur das rote Glühen seines abklingenden Zorns. Seine Tieraugen leuchten immer noch gelb, als er den Frauen aus der Höhle folgt. Das ist mir eine Warnung.
Ob wir Culebra retten und Burke erwischen oder nicht – wenn es nach Williams geht, ist Sophie so gut wie tot.
Kapitel 46
Ich renne an Sandra und Sophie vorbei und lasse auch Williams hinter mir, als ich den Pfad zur Bar entlangsprinte. Die Hintertür ist offen. Sobald ich eintrete, rieche ich es: den beißenden Gestank von Krankheit und nahem Tod. Er lässt die Angst in meinem Magen noch heftiger flattern. Ich folge dem Geruch zu einem der Wirtszimmer.
Frey sitzt mit dem Rücken zu mir zusammengesunken auf einem Stuhl, still und reglos. Nur sein mühsames Atmen zeigt an, dass er noch lebt. Ich schleiche um ihn herum. Es zieht mir den Magen zusammen. Ich bin froh, dass er die Augen geschlossen hat. Entsetzen packt mich, und er würde sich gewiss noch elender fühlen, wenn er meine vor Schreck entgleisten Gesichtszüge sehen könnte. Der Verwesungsgestank kommt von ihm. Freys dunkles Haar ist mit weißen Strähnen durchzogen. In sein Gesicht haben sich Löcher wie Pockennarben und tiefe Falten von den Augenwinkeln bis zum Kinn eingegraben, als hätte jemand eine Harke über seine Haut gezogen. Er sieht ausgezehrt aus, dehydriert… und alt.
Ich kneife die Augen zu, um die Tränen zurückzuhalten.
»Sehe ich so schlimm aus?« Freys Stimme, voller Humor und wunderbarerweise voller Leben, holt mich wieder zurück. Ich schlinge ihm die Arme um den Hals und drücke ihn an mich, bis er mich sanft wegschiebt. »Vorsichtig. Ich bin gerade nicht in der besten Verfassung.«
Ich lasse ihn los und trete zurück. »Du lebst noch. Das ist alles, was zählt.« Das Gewissen zwickt mich, und ich drehe mich um und suche nach Culebra. Wenn Frey schon so schlimm aussieht, wie muss erst Culebra dran sein?
Als ich mich dem Bett nähere, stelle ich erstaunt fest, dass Culebra noch genauso aussieht, wie ich ihn zuletzt gesehen habe. Er könnte ebenso gut friedlich in seinem eigenen Bett schlafen. Die flachen, schnellen Atemzüge und die Schläuche, durch die er ernährt wird, sind der einzige Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt.
Ich werfe Frey einen fragenden Blick zu. »Wie ist das möglich?« Sein Lächeln ist traurig und ironisch zugleich.
»Mein Gegenzauber schützt Culebra. Bedauerlicherweise laugt er mich aus. Weißt du noch, was ich dir gesagt habe – dass Magie immer ihren Preis hat?«
Ich wende den Blick ab. »Ich habe dich in diese Lage gebracht. Das tut mir leid.«
»Nicht nötig. Das Risiko war mir bewusst, als ich zugesagt habe, hierherzukommen.« Er schaut zur Tür. »Ich hoffe, du hast Verstärkung mitgebracht.«
»Sophie. Burkes Schwester. Sie müsste den Zauber brechen können.«
»Burkes Schwester?« Er runzelt die Stirn. »Können wir ihr trauen?«
»Ja, allerdings.« Williams schiebt Sophie vor sich her in den Raum. »Sie weiß, dass sie schon so gut wie tot ist, falls irgendetwas schiefgeht.«
Frey sieht sich um. Wie immer er sich Burkes Schwester auch vorgestellt haben mag, die dunkelhaarige, strahlend schöne junge Frau, die Williams auf ihn zuschubst, hat er offensichtlich nicht erwartet. Er starrt sie an, und seine Überraschung spiegelt sich auf seinem Gesicht. Diese Frau soll Burkes Schwester sein? »Sie ist doch noch ein junges Mädchen. Wie sollte sie uns helfen können?«
Sophie legt ihm eine Hand auf die Schulter. Bei ihrer Berührung schließt Frey die Augen, seine Muskeln entspannen sich, die Augen fallen zu. Ich bin sofort bei ihr und schlage ihre Hand beiseite. »Was machen Sie da mit ihm?«
Sie richtet den Blick ihrer grau verschleierten Augen auf mich. Einen Moment lang sehe ich die ältere Sophie, die Hexe, und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Da sind Kraft und Macht und ein starker Wille. Im nächsten Augenblick ist Sophie, das junge Mädchen, wieder da. »Er muss sich ausruhen. Er kann bei dem Ritual nicht mitwirken.« Sie
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