Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
um das Haus herum, was den Eindruck erweckt, das Häuschen sei im Nachhinein mitten in einen Dschungel gesetzt worden.
»Das sieht gut aus.« Das war Sophies Stimme vom Rücksitz.
Ich drehe mich zu ihr um. Die Frage »Gut wofür?« erstirbt mir auf den Lippen. Ihre Augen glänzen, der Blick ist auf den Garten fixiert. Sie hat eine Hand schon am Türgriff. Ich betrachte den Garten noch einmal. Offensichtlich sieht sie da etwas, das ich nicht sehe. Sophie steigt aus, geht durch das Gartentor und schaut suchend nach links und rechts. Sie bückt sich, pflückt ein paar Blätter von einer Pflanze ab, geht zur nächsten und sammelt wieder etwas ein.
»Was ist das hier?«, frage ich Williams und folge ihm, während er hinter Sophie herschlendert. Ehe er antworten kann, geht die Haustür auf. Eine alte Frau tritt auf die vordere Veranda. Sie achtet gar nicht auf Sophie, die eifrig in ihrem Garten herumläuft wie ein Bluthund, der eine Spur verfolgt. Stattdessen sieht sie Williams und mich an.
»Euresgleichen sind hier nicht willkommen«, sagt sie und zeigt mit einem knochigen Finger zur Straße. »Raus aus meinem Garten.«
Die Frau sieht aus, als wäre sie hundert Jahre alt, mit einem runzligen, verschrumpelten Gesicht und silbrigem Haar mit goldenen Strähnen, das zu einem Dutt hochgesteckt ist. Sie hält sich krumm und stützt sich auf eine Gehhilfe aus glänzendem Aluminium. Doch ihre Stimme ist gebieterisch, und bei ihrem Klang läuft mir ein Schauer über den Rücken.
Williams neigt den Kopf. »Verzeihung, Mutter. Wir werden vor dem Zaun auf unsere Freundin warten.«
Ich weiß nicht, was mich mehr überrascht: seine Geste der Hochachtung gegenüber der alten Frau oder sein ehrerbietiger Tonfall. Mein Instinkt rät mir, nicht zu widersprechen. Still folge ich ihm aus dem Garten. Als wir neben dem Auto stehen bleiben, humpelt die alte Frau die Treppe herunter, wobei ihr langer, schwarzer Rock durch den Staub schleift. Sie geht zu Sophie hinüber. Das junge Mädchen und die alte Frau sehen einander einen Augenblick lang an, ohne zu sprechen oder auf sonst eine Art miteinander zu kommunizieren, die ich erkennen könnte.
Dann umarmen sie sich plötzlich, lösen sich wieder voneinander, haken sich an den Armen unter und beugen sich gemeinsam über irgendwelche Gewächse. »Was zum Teufel war denn das?«, frage ich. »Und was hat sie damit gemeint, dass unseresgleichen hier nicht willkommen sei?«
Williams lehnt sich an den Wagen. »Vampire. Vampire sind hier nicht willkommen. Sie ist eine weise Frau. Weißt du, was das ist?«
Ich zermartere mir das Gehirn. Ich weiß, dass ich den Begriff schon mal irgendwo gehört habe. »Eine Art Erdenmutter? Das weibliche Element des Göttlichen? Kommt das ungefähr hin?«
»Ungefähr.«
Er erklärt es mir nicht näher. Als ich nachbohre, fügt er nur hinzu: »Sie heißt Eldora und ist in der magischen Gemeinschaft sehr bekannt.«
Nicht viel nützliche Information, doch sein angespannter Kiefer und der dichte Schleier vor seinen Gedanken sagen mir, dass ich nicht mehr aus ihm herausbekommen werde. Ich versuche es anders. »Was hat sie gegen Vampire?«
»Unsterblichkeit. Menschen werden geboren, sie leben, sie sterben. Vampire bedrohen den Kreislauf des Lebens, sie unterwandern die natürliche Ordnung.«
Unsterblichkeit? »Ewiges Leben stört sie, aber das Blutsaugen nicht?«
Seine Schultern heben und senken sich. »Ich habe nicht behauptet, es sei logisch. Es ist einfach so.«
»Was für Kräfte besitzt sie?«
»Keine, soweit ich weiß.«
Mir bleibt der Mund offen stehen. »Warum dann so ehrerbietig? Du wärst beinahe vor ihr im Staub herumgekrochen.«
Er wirft mir einen mitleidigen Blick zu. »Das nennt man Respekt. Aber ich fürchte, davon hast du noch nie gehört.«
Da ist er wieder, der allzu vertraute verächtliche Williams. Unwillkürlich will ich hochfahren. Ich verbeiße mir eine zornige Erwiderung, wende mich ab und beobachte Sophie. Sie kramt immer noch in dem Garten herum, und die alte Frau läuft hinter ihr her. Sophie deutet auf dieses und jenes, pflückt Blätter ab und zerdrückt sie zwischen den Fingern.
Die alte Frau beobachtet das schöne junge Mädchen hingerissen. Ein interessanter Rollentausch. Ich frage mich, ob sie den achtzig Jahre alten Geist von Sophie, der Hexe, erkannt hat, der in diesem jungen Körper steckt? Spürt sie eine verwandte Seele? Und was würde sie wohl davon halten, wenn Deveraux jetzt in Erscheinung träte?
Williams’
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