Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
›die Jungs‹ erwähnt.«
Plötzlich drückt Lances Miene eher Sorge als Verwunderung aus. Wir haben bisher laut gesprochen, doch jetzt erwidert er stumm: Nicht direkt Freunde. Der Mann, der mich verwandelt hat, besitzt hier auch ein Haus. Er und seine Entourage – andere, die er verwandelt hat – reisen zusammen viel herum. Ich treffe ihn nicht gern. Aber das ist der Preis, den ich für meine Freiheit bezahle.
Zum ersten Mal erwähnt Lance die Umstände, unter denen er zum Vampir geworden ist. Etwas in seinem Tonfall lässt meine Alarmglocken schrillen. Ich weiß, wie es ist, von einem mächtigen Vampir beherrscht zu werden . Droht er dir etwa?
Er lächelt über den Ton meiner Frage. Dann streckt er die Hand aus und streicht mir über die Wange. Nein. Wir haben unseren Frieden geschlossen. Ich darf mein eigenes Leben leben. Aber er erwartet von mir, dass ich ihm meine Aufwartung mache, wenn wir gleichzeitig hier sind. Diese Party heute Abend – wir gehen da hin, er gibt mit mir als seinem berühmten Protegé an, und dann gehen wir wieder. Ist nicht weiter wichtig. Das restliche Wochenende gehört nur uns.
Aber ich höre aus seinen Gedanken mehr heraus als diese beiläufigen Worte. Ein wenig Nervosität, ein bisschen Angst. Ich nehme sie wahr, obwohl er versucht, sie zu verbergen. Mein Beschützerinstinkt springt darauf an. Ich will mehr wissen, die ganze Geschichte hören, wie er zum Vampir geworden ist. Aber ich dränge ihn nicht. Nicht jetzt.
Ich vertreibe die Besorgnis aus meinen Gedanken. Was ist mit deiner menschlichen Familie? Gibt es jemanden, dem du noch nahestehst?
Ein Schulterzucken. Meine Eltern sind tot. Ich habe zwei Brüder, die jetzt das Geschäft führen. Logischerweise sehe ich sie nie. Sie leben in einer anderen Welt. Das Geschäft interessiert mich nicht, es hat mich auch noch nie interessiert. Wir kommunizieren hauptsächlich über unsere Anwälte, obwohl ich mich von den meisten Beteiligungen am Familienvermögen getrennt habe. Dieses Haus und ein Treuhandfonds sind alles, was noch übrig ist. Wenn ich weiterziehe, wird Adele alles erben. Er lächelt. Du siehst also, dass ich für meinen Lebensunterhalt arbeiten muss, genau wie du. Ich werde dir diese teuren Geburtstagsgeschenke kaufen müssen wie jeder normale Mensch.
Der alte Lance, der Mann, den ich kennengelernt habe und auf den ich mich verlasse, ist wieder da. Die Tatsache, dass er mir nichts über seine Vergangenheit erzählt hat, ändert nichts daran, was für ein Mann er jetzt ist – der Mann, der immer nur gut zu mir war. Ich stelle die Bierflasche auf den Couchtisch. Sein Lächeln wärmt mich und entfacht einen vertrauten Hunger. »Wie lange haben wir noch, bis Adele und ihr Couturier hereinplatzen?«
Er stellt seine Flasche neben meine auf den Tisch. »Sie wird uns nicht stören, bis wir so weit sind. Warum fragst du?«
Meine umherwandernden Hände stellen fest, dass er ganz genau weiß, warum ich frage. Denn offenkundig denkt er an dasselbe wie ich. »Wo ist die Dusche?«
Kapitel 8
Mir war schon immer bewusst, dass ich in puncto Sex eine, na ja, etwas andere Einstellung habe. Ich hatte noch nie die Illusion, dass Sex und Liebe ein und dasselbe oder miteinander austauschbar wären. Meine erste sexuelle Erfahrung habe ich mit sechzehn gemacht. Ich habe mir den Jungen sorgfältig ausgesucht – er war älter (ein Freund meines Bruders), und gerüchteweise hieß es, er hätte schon mal etwas mit einer verheirateten Frau gehabt (einer Lehrerin obendrein). Daraus schloss ich, dass er a) abenteuerlustig und b) ziemlich gut im Bett sein müsse. Immerhin hatte ich das Penthouse Forum und Krafft-Ebing nicht umsonst gelesen.
Zu meinem Leidwesen stellte sich heraus, dass er weder das eine noch das andere war. Aber er war begierig darauf, es mir recht zu machen. Wir verbrachten ein paar wunderbare Wochen damit, uns gemeinsam zu bilden. Das wäre noch länger so gegangen, wenn mein Bruder nicht dahinter gekommen wäre. Trotzdem finde ich, dass der Kerl jeglichen zukünftigen Erfolg bei Frauen mir zu verdanken hat.
Was ich damit sagen will: Ich habe Sex immer geliebt – den Akt, die Gerüche, die reine Wonne – seit damals, seit diesem Jungen. Als Mensch hatte ich Vergnügen daran. Als Vampir empfinde ich Sex als befreiend, unglaublich, himmlisch. Dieser Genuss am Sex ist das Einzige, was das Dasein als Vampir beinahe rechtfertigt.
Ein Scherz des Schicksals. Vampire können sich nicht fortpflanzen, nicht so wie Menschen.
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