Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
Vielleicht als Trost dafür bekommen sie Körper, die ganz außergewöhnlich auf Sex reagieren. Körper, die durch einen Blick, einen Gedanken zu erregen sind. Körper, die während des Akts warm und lebendig werden. Sex überwältigt die Sinne und befreit den Geist von allen Sorgen und Ängsten. Sex ohne Konsequenzen, der uns daran erinnert, wie es sich anfühlte, menschlich zu sein.
Lance ist nicht menschlich. Ich auch nicht. Aber ein paar Minuten lang lieben wir uns, als wären wir es. Keine Bisse, kein Blut. Nur das Gefühl seines Körpers auf mir, in mir. Wir bewegen uns langsam, im Einklang, in einer innigen Umarmung und versuchen den Moment hinauszuzögern, da wir uns nicht mehr zurückhalten können. Er kommt im Pulsieren meines Orgasmus, und als es vorbei ist, flüstert er mir zärtlich etwas ins Ohr. Ich grabe das Gesicht in seine Schulter und habe zu viel Angst, um mir oder ihm einzugestehen, dass ich gehört habe, was er eben gesagt hat. Angst, dass ich genauso empfinden könnte. Angst davor, was das bedeuten würde.
Ein paar Minuten, nachdem Lance Adele auf dem Haustelefon angerufen und ihr Bescheid gesagt hat, dass wir wieder unter den Lebenden weilen, klopft sie diskret an die Tür. Natürlich hat er nicht diese Worte gebraucht, aber nicht umsonst nennen die Franzosen den Orgasmus auch la petite mort.
Wir sind inzwischen im Schlafzimmer – einem weiteren riesigen Raum mit mächtigem Mobiliar. Lance hat mir erklärt, dass seine Eltern das Haus vor siebzig Jahren eingerichtet haben. Offensichtlich hatten sie eine Vorliebe für alte Schlösser und Landsitze. Das Haus bedeutet Lance nicht so viel, als dass er Zeit und Geld in eine größere Veränderung investieren wollte, und Adele scheint die Einrichtung nichts auszumachen.
Ich habe geduscht, die staubige Jeans gegen saubere Shorts getauscht, mein T-Shirt ordentlich in den Bund gesteckt und mir mit den Fingern das nasse Haar gekämmt. Ich kann mir nur vorstellen, wie das aussieht. Manchmal ist es doch ein Segen, sich nicht im Spiegel sehen zu können.
Lance spricht das, was er mir ins Ohr geflüstert hat, nicht wieder an. Ich werde es ganz sicher auch nicht tun.
Wir sitzen nebeneinander auf der Bettkante und fühlen uns wieder wohl miteinander, obwohl ich weiß, dass Lance eben noch enttäuscht war. Er hat eine Antwort erwartet, wahrscheinlich auch eine verdient. Ich kann nicht in Worte fassen, warum ich nicht bereit bin, sein Bekenntnis zu erwidern. Ich weiß nur, dass ich es nicht kann.
Lance trägt Boardshorts und ein T-Shirt. Er fährt gerade mit der Bürste durch sein nasses Haar, als Adele hereingeweht kommt, schwer beladen mit Kleidersäcken. Sie hängt sie in einen Schrank und bleibt dann mit strahlendem Lächeln vor uns stehen. »Soll ich Ihnen helfen?«, fragt sie mich. Dabei drückt ihre Miene aus, dass sie die Antwort schon kennt. Sie scheint sich darüber zu freuen, dass ich mit Lance hier bin, wie eine nachsichtige Schwester, die froh ist, dass ihr Bruder irgendeine Freundin gefunden hat.
Lance legt mir einen Arm um die Taille und gibt ihr die Antwort, die sie erwartet: »Ich helfe ihr.«
»Danke, aber ich ziehe mich schon seit ein paar Jahren ganz allein an. Ich glaube, ich werde schon zurechtkommen.«
Adele verabschiedet sich vorerst, bleibt aber an der Tür noch einmal stehen und dreht sich zu uns um. »Stephen und ich trinken unten Kaffee. Er hat Schuhe mitgebracht. Wenn Sie sich entschieden haben, was Sie anziehen möchten, kommen Sie doch herunter und suchen Sie sich aus, was Ihnen gefällt.«
Sie zieht die Tür hinter sich zu.
Ich stehe auf und gehe zum Schrank. »Also, wer ist dieser Stephen?«
Lance kommt mit mir. »Er führt die Armani-Boutique in der Stadt.«
»Und er springt, wenn du ihn rufst? Muss schön sein, das Leben als DeFontaine.« Ich werfe einen Blick in den Schrank. »Da drin hängen ein Dutzend komplette Outfits. Was glaubt Adele, wie lange ich hierbleiben werde?«
Lance greift an meiner Schulter vorbei und holt eine der Kleiderhüllen heraus. »Lass mal sehen, was wir da haben.«
Er öffnet den Reißverschluss und holt ein langes Kleid aus schwarzer Seide heraus. »Das gefällt mir. Probier es mal an.«
Ich ziehe mir das T-Shirt aus und steige aus meinen Shorts. Nackt stehe ich da, während Lance mir das Kleid über den Kopf zieht. Es gleitet über meinen Körper wie eine warme Brise. Vorne ist der Ausschnitt V-förmig, im Rücken ein tiefes U, und der Rock fällt in weichen Falten. Ich drehe mich
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