Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
probiere sie an. Sie würden perfekt zu dem Kleid passen.
Aber so leicht lasse ich mich nicht ablenken. Dieser Blick, den du Lance zugeworfen hast, als er erwähnt hat, dass ich ihn zu der Party begleiten werde. Offenbar hat es dich überrascht, dass er mich mitnehmen will. Sollte ich aus irgendeinem Grund nicht da hingehen?
Stephen zögert zwei Herzschläge lang, ehe er antwortet . Natürlich nicht. Es ist nur so, dass Lance – Rick – noch nie ein Date zu einer unserer Soireen mitgebracht hat. Das ist... interessant.
Ein Date? Das hört sich irgendwie nach Highschool— Ballkönigin an. Dabei bin ich doch ihresgleichen. Ich werfe Stephen einen scharfen, neugierigen Blick zu. Warum sollte er mich nicht mitnehmen?
Er schirmt seine Gedanken ab und lässt nichts mehr heraus. Schließlich sagt er: Gefallen dir die Sandaletten?
Ja.
Er zieht sie mir geschickt von den Füßen und ersetzt sie durch schlichte Peeptoe-Pumps von Blahnik. Ich drehe den Fuß hin und her, als musterte ich den Schuh, während ich in Wirklichkeit versuche, in seinen Geist vorzudringen. Ich weiß nicht, wie lange er schon ein Vampir ist, aber offensichtlich lange genug, um gelernt zu haben, wie man Eindringlinge blockiert. Ich ziehe die Schuhe aus und reiche sie ihm. »Die nehme ich auch. Ich glaube, mehr werde ich für ein Wochenende nicht brauchen.«
Seine Züge werden weicher. Vor Erleichterung? Er steht auf und beginnt umständlich die übrig gebliebenen Schuhschachteln in eine überdimensionale Segeltuchtasche zu packen.
Ich stehe auf und reiche ihm Wie lange bist du schon ein Vampir?
Seit fünf Jahren. Und du?
Noch nicht ganz ein Jahr.
weitere Schachteln.
Er dreht sich um und starrt mich mit großen Augen an. Tatsächlich? Du kommst mir – ich weiß auch nicht – viel älter vor.
Wenn ich eine Sterbliche wäre, würde ich das als ernsthafte Beleidigung auffassen.
Er hebt lächelnd die Hand. So war das nicht gemeint. Du hast die Ausstrahlung einer sehr alten Seele.
Er ist fast fertig mit Einpacken. Woher kennst du... Ich hätte beinahe Lance gesagt, doch dann wird mir klar, dass ich ihn wohl Rick nennen sollte. Das ist der Name, unter dem man ihn hier kennt. Ich fange von vorne an. Woher kennst du Rick?
Stephen wuchtet sich die Tasche auf die Schulter. Wir haben gemeinsame Freunde. Die Vampirgemeinde in Palm Springs ist klein, aber eng verbunden. Er wirft mir ein ironisches Lächeln zu. Inzestuös, könnte man sagen.
Man muss kein Genie sein, um diese Andeutung zu kapieren. Ihr habt denselben »Meister«, wie man das wohl nennt?
Nachher wirst du Antworten auf alle deine Fragen bekommen. Das dürfte ein interessanter Abend werden.
Dieses Wort hat er nun schon zum zweiten Mal benutzt. Und diesmal kann ich mich nicht getäuscht haben. Die subtile Betonung, die er auf das Wort »interessant« legt, deutet nicht direkt auf freudige Erwartung hin. Ich bin nicht sicher, ob Stephen sich auf den heutigen Abend freut oder ihm davor graut. Ehe ich weitere Fragen stellen kann, ist er ins Wohnzimmer hinübergegangen. Lance hebt gerade die Kleidersäcke auf. Er beugt sich vor und küsst mich auf den Kopf, als wir zu ihm treten. »Ich bringe Stephen noch raus. Bis gleich.«
Stephen verabschiedet sich von Adele, und er und Lance gehen zur Tür.
Adele räumt das Kaffeegeschirr ab. Plötzlich hält sie inne und blickt zu mir auf. »Bedeutet Rick Ihnen etwas?« Sie fragt mit einer Hitzigkeit, die ich erkenne und schätze, und einem gewissen Grimm, der ihren Mund hart und ihre Schultern steif werden lässt.
Genauso hitzig wäre ich, wenn ich mir Sorgen um einen Menschen machen würde, den ich liebe. Ihre Heftigkeit entlockt mir eine ehrliche Antwort. »Ja.«
Ihre Schultern entspannen sich, und sie räumt weiter ab. »Dann tun Sie mir heute Abend einen Gefallen, ja?«
»Natürlich.«
»Geben Sie gut auf ihn acht.«
»Auf Lance achtgeben? Das ist eine seltsame Bitte.«
Sie hebt das Tablett an. In ihren Augen schimmert eine Besorgnis, die sie mit einem Lächeln zu verbergen versucht. »Da haben Sie recht. Ich hätte gar nichts sagen sollen. Vergessen Sie es einfach.«
»Aber Sie haben es gesagt. Adele, sollte ich auf irgendetwas Bestimmtes achten? Oder auf jemanden?«
Sie faltet Servietten zusammen, rückt Tassen und Löffel auf dem Tablett zurecht und sieht mich dabei nicht an. »Wahrscheinlich ist es gar nichts. Außerdem sind Sie klug. Das habe ich gleich gemerkt. Falls etwas nicht in Ordnung sein sollte, werden Sie schon
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