Anna und Anna (German Edition)
bitteren Gelächters von eben. »Du kennst ihn wahrscheinlich auch schon besser, als du deinen Großvater je gekannt hast.«
»Tut mir leid.«
Sie greift nach meiner Hand. »Kannst du ja nichts für.«
Wir gehen weiter. Die Sonne scheint noch schräger durch die Bäume, bald wird sie untergehen.
»Du, Mama«, sage ich. »Oma kann aber auch nichts dafür, dass Opa schon tot ist und Henri noch nicht.«
Mir ist klar, dass sich das blöd anhört, weil es ja sowieso logisch ist, aber ich hatte irgendwie trotzdem das Gefühl, ich müsste es aussprechen.
Meine Mutter zieht die Schultern hoch und beugt sich leicht nach vorne. Wenn ich nicht ihre Hand gehalten hätte, hätte sie sich wieder selbst in den Arm genommen. »Ich weiß«, sagt Mama.
»Also«, bohre ich, »warum bist du dann sauer auf Oma?«
Erst ein paar Schritte weiter antwortet sie. Sie sagt: »Wegen meines Vaters. Für meinen Vater. Verstehst du?«
Und tatsächlich verstehe ich, was sie meint. Du wahrscheinlich auch. Besser als ich.
Ich kannte meinen Opa kaum. Ich habe nur eine einzige Erinnerung an ihn: Ich sehe noch, wie er auf dem Balkon dieser riesigen Wohnung steht, die sie früher hatten. Die mit den blanken Parkettböden und den vielen seltsamen Bildern an der Wand, mitten in der Stadt. Opa stand auf dem Balkon zwischen den Geranien und schaute hinunter, die Straße entlang. Nach uns schaute er aus. Und als er uns endlich sah, Mama und mich, da hat er gewunken, und sogar von unten hat man erkennen können, wie in seinem Gesicht irgendwie die Sonne aufgegangen ist.
Oma sagte hinterher leise zu uns: »Er stand ewig da.«
Ich denke, sie sagte das, weil sie sicherstellen wollte, dass wir verstanden, wie sehr er sich auf uns freute. Und das hat sie doch bestimmt genauso für uns wie für ihn getan.
Dort im Wäldchen hinter Omas Haus habe ich Mama von den Geranien erzählt.
»Das wusste ich nicht mehr«, sagt sie. Sie sieht mich von der Seite an. »Ich hätte dich mit dem ganzen Zeug gar nicht belasten sollen. Du liebst doch deine Großmutter.«
Jetzt wird mir der Hals eng. »Du nicht?« flüstere ich.
»Doch«, flüstert sie zurück. »Natürlich. Ich sie schon.«
»Na, und sie dich auch. Also alles gut.«
Mama sagt erst nichts. Dann: »Es ist eben schwierig manchmal. Nicht so wie mit dir und ihr.«
»Na ja«, sage ich recht hilflos. »Wir sind beide Piraten.«
Da lacht Mama. »Ja, das seid ihr. Das seid ihr wirklich. Und das ist auch ganz wunderbar.«
Jan, falls du immer noch diesen Brief liest: An dieser Stelle habe ich an dich gedacht. Und an mich im Seeheim. Und ich habe Mama gefragt, ob es ihr Spaß macht, sich mit ihrer Mutter zu streiten.
»Nein!«, hat sie entsetzt gerufen. »Natürlich nicht.«
»Na«, habe ich zu ihr gesagt, und ich glaube, ich habe streng dabei geklungen, »dann lass es doch einfach bleiben.«
Bevor du dich empören kannst, folgt hier der angekündigte Abschiedsgruß.
Gruß! also.
Von deiner Anna
Lieber Jan,
die Geschichte ist immer noch nicht zu Ende.
Und wenn du überhaupt weiterlesen willst, nachdem ich dir so viele tiefschürfende Botschaften zwischen den Zeilen und mit den Zeilen geschickt habe, darfst du dich freuen, denn nun folgt ein Happy End.
Finde ich zumindest.
Als wir zurückkamen, Mama und ich, saß Oma nicht mehr unter dem Apfelbaum. Die Schüssel mit dem klein geschnittenen Obst war auch weg. Wir fanden sie alle auf der Terrasse: die Schüssel, die Oma, den Benni, den Papa und den Grill.
Papa und der Grill waren beide Feuer und Flamme. »Ihr kommt wie gerufen«, begrüßte uns mein Vater, »die ersten Würstchen sind fertig.«
»Schmecken prima«, verkündete mein Bruder zwischen zwei Bissen. Jedenfalls glaube ich, dass er das sagte. Vor lauter Wurst war in seinem Mund nicht genügend Platz für deutliche Worte.
Dass ihn dafür niemand rügte, zeigt, wie abgelenkt alle noch waren.
Außer mir. »Du kleines Schweinchen«, sagte ich zu ihm, »rück mal ein Stück.« Und damit quetschte ich mich zwischen ihn und Oma.
Sie saß da und sah immer noch nicht wieder jünger aus. Ich warf spontan beide Arme um sie. Genau so eigentlich, wie ich es vorher im Wald bei Mama getan hatte.
»Ahoi, Steuermann«, sagte ich leise.
Sie lächelte mich an. »Immer eine Freude, dich zu sehen, Käptn.«
Und dann tätschelte sie meine Hand und ich drückte sie noch ein bisschen fester und ich wusste, dass sie wusste, dass mit uns alles gut ist.
Anders Mama.
Sie setzte sich auf eine
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