Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna und Anna (German Edition)

Anna und Anna (German Edition)

Titel: Anna und Anna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Inden
Vom Netzwerk:
Stuhlkante und begann, nervös am Geschirr herumzurücken, an der Ketchupflasche, dem Brotkorb. Plötzlich zuckte sie zusammen. »Jetzt habe ich gar nicht den Kuchen für euch gebacken!«
    »Das macht doch nichts«, beruhigte Papa sie vom Grill her. »Essen wir die Äpfel halt pur.«
    Benni aber schmollte. »Och«, sagte er gedehnt. »Keinen Nachtisch.«
    Mama machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich hätte noch den Kuchen, den ich extra für Mutti gemacht habe, davon kannst du ein Stück haben.« Sie sah Oma an. Oma sah sie an. »Der ist allerdings ohne Zucker«, sagte Mama so leise, als schäme sie sich dafür. »Der schmeckt sicherlich nicht gut.«
    Da lachte Oma. Es war ein leises Lachen, aber weil ich sie immer noch festhielt, merkte ich, dass es ganz tief aus ihr herausgluckerte. Aus der Brust, vielleicht von da, wo das Herz sitzt. »Ich bin mir sicher, dass der Kuchen furchtbar schmeckt«, erklärte Oma freundlich. »Aber ich esse trotzdem sehr gern ein Stück davon.«
    Mama schien ihren Ohren nicht zu trauen. »Ja?«
    »Du hast ihn doch extra für mich gebacken.«
    Mama wirkte überwältigt. »Das stimmt.«
    »Das hat sie aber schon öfter gemacht«, mischte sich Benni ein.
    Ich habe schon gesagt, dass er bald neun wird, oder? Er ist mindestens so vorlaut wie Oma. Vielleicht sollten wir ihn bei den Seeräubern aufnehmen. Als Benni, den roten Korsaren. Oder so.
    Der rote Korsar fuhr ungerührt fort: »Und bis jetzt hast du immer behauptet: Der Tag, an dem du zuckerfreien Kuchen isst, ist der Tag, an dem du unter der Erde verschwindest.«
    »Benni!«, rief Mama entsetzt.
    Papa lachte.
    Und Oma? Oma kicherte ziemlich mädchenhaft. Ich habe sie mir ganz genau angesehen und ich schwöre: Das Müde, Alte war verschwunden.
    »Wie recht du hast«, sagte Oma zu Benni. »Da habe ich meine Meinung wohl geändert. Zuckerloser Kuchen passt hervorragend zu meinen Medikamenten.«
    Mama blinzelte mit plötzlich verdächtig blanken Augen. »Mutti«, flüsterte sie. »Wirklich?«
    Oma ignorierte die Rührung ihrer Tochter. »Wirklich. Aber meine Grillwurst will ich trotzdem haben!«
    Mehr Aussprache kann man, glaube ich, von den beiden nicht erwarten.
    Wir fahren heute zurück. Alle zusammen. Und ziemlich versöhnt. Kommst du auch mal wieder vorbei? Das wäre schön.
     
    Liebe Grüße!
    Und entschuldige, dass ich dir solche Romane schicke. Aber du darfst es mir gerne in ellenlangen Briefen heimzahlen.
    Anna

 

     
    Lieber Henri,
     
    nun ist es schon wieder Herbst.
    Draußen fallen die Blätter. Sie legen sich über das Land, verbergen die Risse im Asphalt und verstecken die Welt so schön – allerdings nur, wenn sie sich nicht gerade von einer Sturmbö aufwirbeln lassen. Schnee ist da doch viel verlässlicher.
    Vielleicht mochte ich den Winter deshalb immer so gern? Früher, als ich noch zwei Beine hatte und trittsicher war zumindest. Bella liebt ihn auch. Das weiß ich.
    Seit Neuestem weiß ich auch, dass wir noch mehr gemeinsam haben: Bella ist genau wie ich eine Meisterin des Verdrängens. Ich hatte keine Ahnung, dass meine Tochter mir so ähnelt. Sollte ich mich darüber freuen? Ich wünschte, sie hätte eine andere Eigenschaft geerbt. Meinen Galgenhumor vielleicht, an dem kann ich nämlich nichts verkehrt finden.
    Das Foto übrigens, das an die tief vergrabenen Gefühle meiner Bella rührte und unseren jüngsten Familienkrach auslöste, habe ich mitgenommen.
    Ich weiß nicht, warum. Weil es solche Sprengkraft hat, dass es meine Tochter nach all den Jahren aus der Fassung bringt? Weil es sie hat sagen lassen, was sie vielleicht einmal sagen musste? Oder weil es das einzige Bild ist, das ich von dir habe? Es hängt jedenfalls neben meinem Bett. Am Fußende. So ist es das Erste, was ich sehe, wenn ich morgens aufwache. Und das Letzte, was ich anlächle, wenn ich abends einschlafe.
    Anna hat es natürlich sofort entdeckt.
    »Warum hattest du es überhaupt mit den anderen aufgehängt?«, fragte sie mich leicht vorwurfsvoll. »Also in der Scheune, wo es alle finden können.«
    »Hatte ich ja gar nicht«, antwortete ich. »Das war Bella. Vor Jahren schon. Du warst noch ein Zwerg und ich war gerade in das Häuschen gezogen. Sie wollte mir einen Gefallen tun, hat tagelang in meinen alten Sachen gekramt, Fotos und Poster gerahmt und alles an die Wand genagelt. Sie dachte, es würde mich freuen.«
    »Tut es das nicht?«
    »Es ist schön, in Erinnerungen zu schwelgen, wenn man noch viel Zeit hat, neue zu schaffen«, sagte ich.

Weitere Kostenlose Bücher