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Anna und Anna (German Edition)

Anna und Anna (German Edition)

Titel: Anna und Anna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Inden
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schon ganz schön gewagt.
    »Hat Henri so etwas auch gemacht?«, fragte ich, ohne darüber nachzudenken.
    Jetzt wünsche ich mir, ich hätte vorher darüber nachgedacht, denn plötzlich wurde es ganz still in der alten Scheune.
    Mama ist es, die schließlich sagt: »Ja, hat er, Mutter? Hat Henri so etwas auch gemacht? Damals?« Sie klingt ganz anders als zuvor, angespannt irgendwie. So, als hinge von der Antwort etwas ab.
    Oma verlagert ihr Gewicht von dem echten Fuß auf den falschen und, weil der falsche sie nicht so gut trägt, direkt wieder zurück. »Ach, Bella«, sagt sie dann nur.
    Meiner Mutter steigen die Tränen in die Augen. Sie ballt die Fäuste. Dreht sich um und geht hinaus.
    Ich weiß nicht, was ich tun soll.
    Papa aber schon. Er schaut mich an, seufzt, als er mein Gesicht sieht, drückt mich an sich, murmelt: »Das wird schon wieder«, und macht sich daran, Mama zu folgen.
    Oma fasst nach seinem Ärmel. »Ben, darf ich …?«
    Papa bleibt stehen. »Aber natürlich, Anna B.«
    Als Oma die Scheune verlässt, langsam und sich auf ihren Stock stützend, wird mein Hals ganz eng. Plötzlich sehe ich, dass sie alt ist. Verstehst du? Normalerweise denke ich nicht daran, normalerweise fällt es nicht auf. Nur jetzt.
    Die Tür schließt sich hinter Oma.
    Papa und ich, wir bleiben zurück. Ich greife nach Papas Hand. Er hält meine fest in seiner. Und seufzt wieder.
    »Guck«, sagt er endlich. Er zieht mich vor ein Foto, das eine Gruppe junger Menschen eingefangen hat, wie sie gerade eine Straße entlangläuft. Links sieht man die Tische und Stühle eines Straßencafés, rechts Autos mit geschwungenen Kotflügeln und viel glänzendem Metall, die über Kopfsteinpflaster fahren.
    »Paris?«, frage ich.
    Papa nickt.
    Die Mädchen tragen alle Kleider unter ihren Mänteln und die Männer Hüte auf ihrem zurückgekämmten Haar. Sie lachen, haben sich untergehakt oder die Arme umeinandergelegt. Mittendrin geht Oma auf hohen Hacken, mit aufgestelltem Kragen und den Händen in den Manteltaschen. Sie ist bildhübsch. Ganz große Augen hat sie, eine winzige Nase und eine glatte Stirn, in die schräg Ponyfransen fallen. Sie schaut direkt in die Kamera. Die beiden Männer neben ihr schauen nur auf sie.
    Papa tippt auf das Foto. »Der hier ist dein Großvater«, sagt er leise. »Und der andere ist Henri.«
     

     
    Lieber Jan,
     
    die Geschichte geht weiter. Willst du sie hören?
    Vielleicht willst du nicht, weil du dachtest, dass du einen Brief zu lesen kriegst, der von Omas sonnendurchflutetem Häuschen erzählt und ihrem Igel, von Elvis Presley und dem Champagner. Aber nicht von Familiengeheimnissen, die wehtun. Dann lies einfach nicht weiter, sondern spring direkt zu meinem Abschiedsgruß, der irgendwo unten folgt. Weit unten. Es ist nämlich eine lange Geschichte. Sie hat vor mindestens 50 Jahren begonnen.
    Ich habe eben den Stift hingelegt und bin noch mal rüber in die Scheune. Ich habe das Foto von der Wand genommen, es umgedreht und die Rückwand angehoben. Hinten auf dem Foto steht etwas geschrieben: Paris, 1959.
    1959 waren Oma und Opa schon verheiratet. Ich bin zurück ins Haus und habe Papa gefragt.
    Er saß mit Benni in der Küche und legte ein Puzzle.
    »Wo ist Oma überhaupt?«, erkundigte sich Benni, während er sich über die bunten Teilchen beugte. Er ist vielleicht erst acht, wird aber bald neun und merkt genau, wenn etwas nicht stimmt.
    »Im Garten«, antwortete Papa wahrheitsgetreu. »Mit Mama. Bei den Äpfeln. Sie kommen sicher bald wieder rein.«
    Benni war immer noch misstrauisch. Er schaute auf mich in der Küchentür. »Und wo geht Anna hin?«
    »Noch mal rauf«, erklärte ich. »Meinen Brief fertig schreiben.«
    Papa lächelte. »Sag Jan schöne Grüße.« (Schöne Grüße!)
    »Von mir auch«, rief Benni. (Auch von Benni.) Und suchte dann, einigermaßen zufriedengestellt, weiter nach der Puzzleecke für links unten.
    Papa zwinkerte mir zu.
    Vielleicht weiß er nicht, dass ich vom Gästezimmer aus jedes Wort hören kann, das unter dem Apfelbaum gesprochen wird. Oder vielleicht weiß er es doch.
    Das kleine Fenster im Giebel steht den ganzen Tag offen, damit viel Sommerduft hineinkann, dieser Geruch nach gemähtem Gras und warmer Erde. Ich sitze auf unserem Bettenlager, Bennis und meinem, während ich dir dies schreibe, und will den beiden zuhören, die ein Stockwerk tiefer streiten.
    Ich höre aber nur einen Vogel rufen. Eine Nachtigall vielleicht, ich kenne mich da nicht so gut aus. Eine Biene

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