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Anna und Anna (German Edition)

Anna und Anna (German Edition)

Titel: Anna und Anna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Inden
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so vor?
    Sehen wir uns bald wieder? Ich hoffe sehr.
     
    Grüße von
    deiner Anna
     

     
    Lieber Henri,
     
    jetzt sind sie alle hier bei mir und ich weiß gar nicht so genau, wie ich das finde.
    Mein Häuschen war immer ein so friedlicher Ort. Außer dem Wind im Wäldchen, dem Igel im hohen Gras und der gelegentlichen Möwe, die sich hinter die Deiche verirrt hat, hört man hier nichts. Normalerweise. Jetzt höre ich Bella im Obstgarten singen, Ben in der Küche klappern und den kleinen Ben treppauf, treppab jagen. Meine kleine Anna höre ich nicht, ich sehe sie nur, wie sie mit schief gelegtem Kopf durch die Zimmer wandelt. Große Augen macht sie. Und einen Gesichtsausdruck hat sie wie in der Kirche. Ich weiß nicht, warum. Aber ich weiß, dass sie demnächst mit dem Fragen anfangen wird.
    Sie sind alle so laut, dass sich der Igel heute Abend wahrscheinlich gar nicht bis zur Terrasse traut, auf der Ben seinen improvisierten Grill anschmeißen und Bella die Äpfel für ihren Kuchen schälen will.
    Benni ruft gerade nach seiner Oma. Er hat die Mausefallen entdeckt.
    Ich glaube, ich bin froh.
     
    Anna
     

     
    Lieber Jan,
     
    meine Oma hat mit Elvis Presley Champagner getrunken. Kannst du das fassen?
    Wenn du jetzt sagst: Niemals, das glaube ich nicht!, sage ich: Doch wirklich, ich habe das Foto gesehen. Es zeigt Elvis, ganz jung, denke ich, denn Mama rief: »Himmel, war er da jung, da sah er ja wirklich gut aus!«, und es zeigt Oma, auch ganz jung und so schön wie ein Filmstar.
    »Deine Oma war ja auch ein Star«, sagte Papa. »Wenn du mich fragst, ist sie das heute noch.« Und er legte ihr einen Arm um die Schultern und küsste sie auf die Wange.
    Oma rollte mit den Augen und schlug mit ihrem Stock nach ihm. Aber sie lächelte. Überhaupt lächelt sie gerade viel. Ob das an Henri liegt?
    Ich suchte nach einem Foto von ihm. Die Bilder hängen alle an der schmalen Scheunenseite, dem Tor direkt gegenüber. Es sind sogar Poster darunter, auf denen in geschwungenen Buchstaben »Lido« steht und eine ganze Reihe junger Mädchen unter einem Schattenriss des Eiffelturms lächelnd die Beine in die Luft wirft.
    »Für seine Tänzerinnen war das Lido berühmt«, erklärte Papa mir. »Am meisten natürlich für Oma.«
    Da lachte Oma laut.
    Und irgendwie war ihr klar, dass ich vor Neugierde brannte.
    »Was willst du wissen?«, sagte sie nur.
    Alles!, wollte ich rufen. Habe dann aber überlegt, wo ich anfangen soll.
    Das letzte Mal als ich hier war, hatte ich noch überhaupt keine Ahnung von Elvis Presley. Oder von Dean Martin. Ihn hat Oma auch kennengelernt. Sogar getanzt und gesungen hat sie mit ihm, in irgendeiner amerikanischen Fernsehshow. Es gibt eine Aufnahme davon: Sie trägt ein unfassbar kurzes, im Scheinwerferlicht glitzerndes Kleid, doch er schaut nicht auf ihre Beine, er schaut ihr ins Gesicht und sie lachen beide furchtbar doll, sie mit in den Nacken gelegtem Kopf, er ganz viele Zähne zeigend.
    Ich bin jetzt älter, ich habe mit meiner Oma ihre alten Platten gehört und die Cover bestaunt, ich erkenne Dean Martin, wenn ich ihn sehe. Ich erkenne aber auch, dass der Blick, mit dem Elvis meine Oma anschaut auf diesem Foto mit dem Champagnerkübel, ein besonderer ist. Elvis hat in jedem Arm ein hübsches Mädchen und noch mehr drängen sich um sie herum, doch meine Oma ist es, die er ansieht, als wären da nicht viele, sondern nur sie, und ich glaube, dass sie ihm gefallen hat. Vielleicht ja nur für wenige Minuten, vielleicht ja nur für diesen einen Abend, aber sie hat ihm gefallen. Und er ihr womöglich auch.
    Ich zeigte auf Elvis. »Denkst du manchmal noch an ihn, Oma?«
    Oma lächelte. »Nur wenn du mich nach ihm fragst. Dann fällt mir alles wieder ein.«
    Meine Mutter stellte sich neben mich. »Wie war er so?«, wollte sie wissen und klang ehrlich interessiert.
    Ich wunderte mich über ihre Frage, denn ich denke mir, dass sie die doch schon viele tausend Mal hätte stellen können.
    Oma ließ nicht erkennen, ob sie auch verwundert war. »Nett war er«, antwortete sie stattdessen. »Lustig. Unbeschwert. Er ist einfach von seinem Platz aufgestanden, auf die Bühne gestiegen und hat für uns gesungen, weil ihm so gefallen hat, wie wir getanzt haben.« Sie lachte. »Ich glaube, vor allem unsere Beine haben ihm gefallen. Nachdem diese Aufnahme gemacht worden war, hat er seine Hand auf mein Knie gelegt.«
    Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber damals, als Oma jung war, war eine Männerhand auf einem Frauenknie

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