Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
gusseisernen Topf und stellte ihn auf den Herd.
„Wie auch immer, du kennst dich hier besser aus“, seufzte Viola. „Du scheinst dich in all den Jahren hier gut eingelebt zu haben.“
„Besser als du es dir vorstellen kannst“, brummte die Alte, nahm den Deckel vom Topf ab und fing an darin zu rühren. Gleich roch es nach Kiefernöl und etwas süßlich Ekelerregendem. „Manche Menschenkinder scheinen doch nicht so beschränkt zu sein, wie es ihnen von Kindesbeinen eingebläut wird. Sie wollen sich nicht nur auf das verlassen, was sie mit dem ersten Blick sehen oder hören können. Das Geschäft mit meinen Tränken und Mixturen läuft wie verrückt. Und was die Wahrsagerei erst anbetrifft“, sie pfiff durch ihre vergilbten Zähne, „da öffnen sich ganz andere Möglichkeiten für mich. Sie sind so versessen darauf, dass ich ihnen sage, was auf sie zukommt, dass sie bereit sind, ein sehr gutes Geld dafür zu bezahlen. Dabei sind diese neuen Erkenntnisse meist nur das, was sie selbst schon längst wissen, bloß es sich nicht eingestehen wollen.“ Sie kicherte spöttisch vor sich hin. „Aber naja, so sind sie halt und ich kann gut davon leben.“
„Du hast schon immer ein gutes Gespür fürs Geschäftliche gehabt“, sagte Viola und schaute sie anerkennend an. „Für mich spielte meine Familie immer eine große Rolle. Und das bleibt auch wohl bis Ende meiner Tage so.“ Sie sank den Blick auf ihre Hände, die leicht nervös an ihrem schneeweißen Taschentuch zupften.
„Du hast mich noch nie verstanden, meine Liebe.“ Die Alte zündete sich eine neue Zigarette an und richtete ihren spöttischen Blick der Viola zu. „Mir ging es hauptsächlich um meine Kräuter und die neuen, wirksamen Rezepturen. Und um meine Ruhe von all eurem Affentheater. Das Geschäft kam erst später dazu. Weil ich hier einfach ein Einkommen brauchte.“
„Du findest dich hier gut zurecht. Und deshalb bin ich hier und bitte um deinen Beistand in diesen für uns unerfreulichen Zeiten. Ich habe dich sonst nie um etwas gebeten. Das mit Ian ist das Einzige, was mir so am Herzen liegt. Ich will ihn in Sicherheit wissen. Ich kann einfach nicht zulassen, dass unsere Familie, ja das ganze Drachengeschlecht von einem Moment auf den anderen verschwinden soll. Ich kann und ich will es mir nicht vorstellen, dass auf Geheiß einer Verrückten alles vorbei sein kann. Unsere Familie gibt es seit mindestens vierundzwanzig Generationen. Und sie soll es auch weiter geben, genauso wie unser Volk und die ganze Oberwelt.“ Viola blickte aufgeregt zu der Alten hoch, die mit einer Hand energisch in den dämpfenden Töpfen nacheinander rührte, in der anderen eine halb verglühte Zigarette hielt und ihr gar nicht zuzuhören schien. „Verstehst du, welche wichtige Rolle auf dich zukommen kann?“
Barbara grinste gezwungen aus ihrer dunklen Ecke. „Du weißt, ich habe es nicht so mit all diesem Familienkram. Ich gehe davon aus, dass du mir die eine oder die andere Truhe voll von Klunkern für die Versorgung von eurem Bastard rüberschiebst. Immerhin müsste ich ihm dann jahrelang das Maul stopfen, abgesehen von all dem Aufwand für die Erziehung und so weiter.“
Viola hob abrupt den Kopf, als ob sie geohrfeigt wurde, und blickte sie entrüstet an. „Dass du so reden kannst! Das verstehe ich nicht. Das ist zum gewissen Grad auch dein Enkelkind!“
Die Alte schüttelte kräftig den Kopf. „Nix da! Deine Tochter hat dich beglückt. In ihren jungen Jahren!“ Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Und ich habe keine Kinder, nie gehabt“, verkündete sie, nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und blickte quer über die Küche zum Fenster hinaus. „Was ist, lässt du mir ein paar Truhen voll mit Diamanten und Gold und sonst noch welchen hübschen Sachen zukommen?“ Ihre Augen blitzten auf. „Oder willst du, dass dein Enkelkind hier hungern muss? Hier ist es nicht so wie bei euch, es wird einem nichts geschenkt. Hier muss man für sein Stück Brot hart schuften.“ Sie drückte ihre Zigarette aus und schmiss sie auf den Boden.
„Aber natürlich, selbstverständlich lasse ich dir einen Teil seines Erbes schicken! Da wird auch dein Anteil dabei sein“, versicherte Viola und wirkte dabei etwas verloren. Sie schob das weiße Tuch in die Tasche ihres Kleides und blickte zur Tür.
„Das interessiert mich nicht“, erwiderte Barbara. Ihre Stimme schnitt die Luft. Sie zündete sich eine neue Zigarette an, atmete tief ein und blies eine
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