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Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rina Bachmann
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Gesichter der Oberweltler, die aufgeregten Mienen der Jugendlichen, die staunenden Züge der Hexen, die Schnauzen der Tiere. Keiner schien ihre Anwesenheit zu merken.
    Viola sah, wie der Ausdruck der Frau in Schwarz sich verfinsterte. Ihr Blick war konzentriert und entschlossen. Die Lippen bewegten sich. Sie flüsterte etwas ununterbrochen vor sich hin.
    Die ersten Drachen stiegen ab und erreichten die hintere Ecke der Wiese. Auf einmal kam Bewegung in die Reihen. Jubelschreie, Musik und fröhliches Lachen füllten die nächtliche Luft. Die Oberweltler fingen an die Namen der Drachen, die auf der Wiese landeten, auszurufen und zu Begrüßung zu applaudieren.
    Der Junge guckte zu Viola hoch. „Geht es gleich los?“, schrie er fast.
    Die Jugendlichen jubelten und klatschten in die Hände, als der nächste Drache landete und zur Mitte der Wiese lief.
    „Ja“, ließ Viola leise fallen, ohne ihren Blick von der kleinen Frau abzuwenden.
    „Und dann werden alle Jungs und Mädels, die vorne stehen, zu Drachen?“
    „Ich hoffe es“, sagte sie unsicher und seufzte.
    „Aber was ist denn Oma?“ Der Junge sah zu ihr auf. „Freust du dich denn nicht?“
    „Natürlich tue ich das“, erwiderte sie, ihre Stimme abwesend. Sie sah, dass die Frau in Schwarz ihre Hand nach vorne ausstreckte, ohne ihren Blick von den Drachen und den Jugendlichen abzuwenden. Ihre Lippen bewegten sich ununterbrochen.
    Ein dicker, leuchtender Strahl ging von ihrem Zeigefinger aus und traf die ersten Besucher am Rand der Wiese.
    „Nein!“, schrie Viola.
    Aber keiner hörte sie. Alle blickten in die Mitte der Wiese, wo ein großes, bläuliches Feuer loderte. Die Jubelschreie wurden euphorischer, das Händeklatschen rhythmischer und lauter, als die Drachen sich den Kindern gegenüber aufstellten. Ihre Panzer schimmerten silbern im Lichte des bläulichen Feuers.
    Viola holte hastig aus der Tasche ihres Kleides eine kleine Drachenfigur und drückte sie in die Hand des Jungen. „Halte ihn fest, Ian. Du darfst ihn nicht verlieren“, befahl sie und fing an selbst etwas leise in einer Sprache zu flüstern, die der Junge nicht verstand.
    Er blickte verständnislos zu ihr auf, schloss jedoch seine kleinen Finger um die Figur fest und kehrte zur Beobachtung des Geschehens auf der Wiese zurück.
    Der erste Drache spie sein bläuliches Feuer auf das ihm gegenüberstehendes Mädchen.
    Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte die Wiese und den umliegenden Wald. Riesiger Blitz, der Unmengen an Licht und Kraft entlud, schlug in die erste Reihe der Drachen. Der Nächste traf die Jugendlichen, der Dritte explodierte oben im Himmel, wo einige noch im Mondlicht kreisten. Die Erde bebte.
    Die Besucher brachen in Panik aus. Schreie der Frauen, das Heulen der Kinder, das Grollen der Drachen, alles war von einer riesigen, schwarzen, dampfenden Wolke verschluckt. Weitere Blitze folgten den Ersten. Sie waren plötzlich überall: auf der Wiese, im Wald, oben im Himmel. Starker Geruch nach verbranntem Fell, Verwesung und Schwefel hing in der Luft und machte das Atmen schwer.
    Das Letzte, was der Junge mit dem kleinen Drachen in der Hand sah, war die weiße Schürze der Oma vor seinem Gesicht. Greller Blitz blendete ihn, der nächste grollende Donner erschütterte die Luft. Dann hörte er, wie Viola vor Schmerz und Entsetzen aufschrie, dann flüsterte: „Sie hat’s doch getan!“, und er spürte, dass etwas Warmes, Klebriges, süßlich Riechendes über seine rechte Schulter in dem Hosenbein herunterlief und im Schuh versickerte.
    Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er sich drehte, mit jeder Sekunde immer schneller, bis er zu einem rasenden Wirbel wurde. Dann war alles plötzlich schwarz und still.

Kapitel 32. Das neue Leben.
    Das Kind öffnete die Augen. Es war eine helle Nacht. Der leuchtende Vollmond, der hoch im klaren Himmel stand, schaute auf ihn mitleidig herunter. Der Junge ließ einen überraschten Blick um sich schweifen. Er saß im von hochgewachsenen Brennnesseln und blühenden Disteln überwucherten Vorgarten eines verlassenen Hauses, das sich wie ein bedrohlicher, schwarzer Schatten hinter ihm erhob. Das Kind öffnete seine rechte Hand und blickte aufmerksam hin. Sie war leer. Er sah auf die andere Hand - sie war ebenfalls leer. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Die Oma hat gesagt, ich darf den kleinen Drachen nicht verlieren! Was wird denn jetzt? Seine Hände und Hals juckten und er fing an, sich zu kratzen. Das half aber nicht. Je mehr er die

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