Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
schnappte die Drachenfigur, schmiss sie ins Feuer und stolzierte hinaus.
Der Junge blieb ruhig, stand auf, tapste zum Kamin, langte mit der Hand ins blaue Feuer und holte seinen kleinen Drachen wieder heraus.
Die Frau, die im Kaminzimmer mit Blumen gesprochen hatte, saß am Eichentisch in der Küche der Alten. Das kleine Fenster zu ihrer Linken ließ kaum Tageslicht in den Raum hinein. In der hinteren rechten Ecke des nicht allzugroßen Raums erhob sich der Ziegelsteinofen. Die oberen Regale an den Wänden links und hinter dem Ofen waren mit Stoff-, Papiertüten und Gläsern vollgestellt, deren Inhalt verdächtig nach Innereien und Gliedern der Tiere, getaucht in eine helle, gelbliche Flüssigkeit aussah. Weiter unten an den Regalen waren Töpfe unterschiedlicher Größen und Materialien aufgereiht: Kupfer, Gusseisen, Aluminium, auch einige emaillierte Exemplare, wie Gefässe aus Ton und Porzellan fanden ihren Platz. Von der Decke hingen Büschel von trockenen Kräutern, Blumen und knorrigen Wurzeln.
Die Alte, die einen jüngeren Eindruck vermittelte, ihr Gesicht heller und glatter, stürmte in die Küche mit Händen voller Holzscheite. Sie ließ sie mit einem ohrenbetäubenden Krach vor der Ofen fallen, machte die Tür auf, schmiss einige Stücke in den Schlot hinein, lief zurück zu dem Tisch, plumpste sich auf den Stuhl vor die Besucherin und sah sie fragend an.
Dieser war es anzusehen, dass das Gespräch für sie gleichermaßen aufregend wie anstrengend war. „Es kann also so kommen, dass du dich um den Jungen kümmern musst, Barbara“, sagte sie und sah ihr ernst in die zusammengekniffenen Augen.
„Ich habe keine Ahnung von Kindern“, erwiderte sie barsch, stand abrupt auf und lief zu dem Ofen zurück. Sie holte einen großen, kupfernen Topf vom unteren Regal, knallte ihn auf den Herd und goss aus einem umfangreichen Tonkrug etwas von säuerlich riechender Flüssigkeit hinein. Dann tauchte sie wieder hinunter und schmiss noch mehr Holz in den Ofen.
„Das ist eine Regelung für den Notfall“, erklärte die Frau am Tisch. „Falls es dazu kommen sollte, dass ich ihn aus der Oberwelt weg haben muss.“ Ihre Augen blickten traurig. „Dann ist womöglich keiner von uns am Leben“, fügte sie verbittert hinzu und blickte zu der Alten auf.
„Erzähl keinen Quatsch Viola!“ Sie schob den Topf in die Mitte der Herdplatte, zündete eine Zigarette an und zog den Qualm tief ein.
„Ich will hoffen, dass alles gut geht und es dazu nie kommen wird“, sagte Viola leise, holte ein weißes, gebügeltes Taschentuch aus der Tasche ihres Blumenkleides und presste es an die Lippen. „Aber wenn“, sie sah hilflos zu der Alten auf, „dann muss ich Ian in guten Händen wissen. Ich muss sichergehen, dass er nicht allein ist, dass er ein Dach über dem Kopf und eine kundige Anleitung hat. Er hat doch keine Ahnung von dem Leben in der Menschenwelt! Hier ist doch so vieles ganz anders als bei uns.“
Die Alte schwieg, rauchte ihre Zigarette zu Ende, drücke sie auf der Herdkante aus und schmiss sie in den vollen Aschenbecher auf dem Boden. „Na gut“, brachte sie mit Mühe über die Lippen, „aber es gilt nur für den Notfall. Du weißt, ich habe es nicht so mit den Kindern.“
Viola atmete erleichtert aus, Tränen bannten sich in ihren hellblauen Augen. „Danke dir. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Du bist und bleibst meine kleine Schwester. Wir sind ja wie früher, eine Familie.“
Die Alte verzog skeptisch ihre Miene. „Habe mir nie viel von all dem versprochen.“
„Ach, noch etwas.“ Viola strich flüchtig mit ihrem schneeweißen Taschentuch über die Wangen. „Falls Ian hierher kommen sollte, dann sorge bitte dafür, dass er so schnell wie möglich alles von seinem Leben in der Oberwelt vergisst. Er ist noch klein, da fällt das Vergessen leicht. Es ist sicherer für ihn, wenn er wie ein normaler Junge, also wie ein Menschenkind aufwächst. Damit diese Frau ihn nicht hier finden und noch mehr Schaden anrichten kann. Versprichst du mir das?“ Hoffnung schimmerte in ihrem Blick.
Die Alte grinste schief. „Davon kannst du ausgehen. Hier wird es keine Mätzchen wie bei euch geben. Dafür sind wir hier in einer ganz anderen Welt. Diese Geschöpfe lieben ihre harte Realität oder das, was sie für solche halten. Sie haben ihre fünf Sinne und die meisten sind voller Überzeugung, dass es keine weiteren geben soll.“ Sie hob vom Boden einen kleineren
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