Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
fernen Vergangenheit überfüllte sein Gehirn. Die Kugel drehte sich aber weiter und immer mehr kam auf ihn zu. Er presste die Hände an die Schläfen, wollte die Augen schließen, es gelang ihm aber nicht. Irgendeine Kraft zwang ihn dazu, sich alles anzusehen, in sich aufzunehmen und es in feinsten Einzelheiten in seinem überfüllten Gedächtnis zu speichern. Sein Kopf fing an, sich wie die Kugel zu drehen. Eine akute Übelkeit stieg in hoch. Er schnappte nach Luft, bekam aber keine und fiel auf die kühle Erde. Auf einmal wurde alles dunkel und still.
Er wachte auf, als die Sonne sich von hinter den schneebedeckten Bergen am Horizont zeigte. Der hellblaue Himmel zierte sich mit leichten Schleierwolken aus zartem Rosa, die Luft war rein und frisch. Unter seinen Händen fühlte er nasses Grass. „Der Tau war gefallen“, schoss ihm durch den Kopf. Er lächelte der Sonne zu und fiel wieder in einen tiefen Schlaf.
Kapitel 31. Der letzte Abend.
Ein leichter Lavendelduft, gemischt mit einem Hauch vom Zimt und einer blumigen Honignote, hing in der Luft. Ian saß halb, lag halb im breiten Sessel in eine dicke Daunendecke gewickelt, seine Füße auf dem breiten Schemel. Er öffnete die Augen einen Spalt. Angenehm weiches Licht überflutete das Zimmer. Er sah die schweren Bücherregale, die die Wand gegenüber vom Boden bis zur Decke einnahmen, den runden Tisch zu seiner Rechten und den hellen Parkettboden mit ausgetretenen, ehemals bunten Teppichen. Er atmete erleichtert aus und machte die Augen wieder zu.
Eine vertraute, spöttische Stimme hinter ihm sagte: „Ich weiß, dass du wach bist.“
Er lächelte. Anna. Die Nervensäge .
„Hier gibt es nichts zu grinsen. Wir müssen los. Scharta wartet auf uns.“
Ian schob die Decke beiseite, setzte sich langsam aufrecht, stellte die Füße auf den Boden und drehte sich um. Sein Blick fiel auf die Fenster. Draußen herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Die Scheiben waren von unzähligen Regentropfen übersät.
Anna stand an der Fensterbank und trank aus ihrer dünnen Porzellantasse mit dem gelben Blümchenmuster. „Du kannst auch etwas Tee abbekommen, wenn du dich beeilst“, sagte sie lächelnd. „Etwas zu essen gibt es dann auch.“
Bald liefen sie den dunklen Tunnel entlang und schlüpften nacheinander durch den runden Durchlass.
Die Schlange lag vor der Wand mit den Fackeln. Sie hob langsam den Kopf, blinzelte etwas müde und sagte: „Schön, dass ihr wieder da seid.“
Anna lief zu ihr und umarmte sie an dem schuppigen Hals. „Toll, dich wieder zu sehen.“
Ian nickte ihr kurz zu.
Sie sah ihn aufmerksam an. „Vermisst du vielleicht etwas?“
„Den Gögling“, sagte er und ließ einen suchenden Blick um die Kammer schweifen. „Er war plötzlich weg, als der Sog stark wurde. Er konnte sich wohl nicht mehr festhalten.“
„Er flog hierher, als der Streich vorbei war. Der Arme war ordentlich durch den Wind.“
„Und wo ist er jetzt?“, fragte der junge Mann. Eine Sorgenfalte setzte sich zwischen seinen Brauen.
„Beruhige dich. Ich habe ihn an einen sicheren Ort gebracht.“
„Ich will ihn aber zurück!“
„Alles zu seiner Zeit“, erwiderte Scharta zuversichtlich. „Er wird schon seinen Weg zu dir finden.“
„Ich fürchte, ich muss meinen Weg zu ihm finden“, flüsterte Ian und sah nachdenklich ins bläuliche Feuer.
„Ihr habt also die Kugel gesehen“, stellte die Hüterin des Wissens fest.
„Ja“, sagten die beiden gleichzeitig.
„Und wie ist euer Eindruck?“
„Überwältigend“, gab der junge Mann zu, seine Augen begannen zu leuchten. „Ein leuchtender, sich drehender Ball, von dem eine Wahnsinnsmenge von Energie ausgeht. So eine Erscheinung vergisst man nie.“
„Hat die Kugel dir etwas gezeigt, das dir weiter hilft?“
„Ich weiß nicht, ob es mir weiter hilft, aber jetzt weiß ich zumindest, wie die Geschichte weiter ging.“
„Welche Geschichte?“ Anna guckte ihn perplex an und ließ sich auf einen der Reifen der Schlange fallen.
„Na die mit dem Fest!“
Sie schüttelte den Kopf. „Welchem Fest? Ginge es etwas genauer?“
Ian atmete tief durch. „Ihr habt es mir doch mal gezeigt. Hier, auf dieser Wand.“ Er zeigte mit dem Kinn nach vorn. „Es war das große Sommerfest, wo die Jungs und Mädels zu Drachen werden sollten.“
„Ach, das meinst du!“ Sie bedachte Scharta mit einem bedeutungsvollen Blick.
„Jetzt weiß ich, wie es weiter ging“, sagte er. „Und noch einiges“, fügte er leise
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