Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
der Oberwelt nicht gebraucht! Keiner von uns würde dich zu etwas zwingen. Ich kann dich zurückbringen. Wenn du sagst, du bist ein kleines dummes Menschlein und von all den Problemen hier verstehst du nichts und nichts davon wissen und damit zu tun haben willst, dann bringe ich dich wie versprochen auf deine Wiese zurück. Du darfst dann weiter dein gewohntes Leben führen und keiner von der Oberwelt wird dich je wieder belästigen.“
Seine Miene verfinsterte sich, der Unterkiefer ging ein paar Mal vor und zurück. „Ich will überhaupt nirgendwohin gebracht werden. Ich bin kein Paket, das man hin und her transportiert oder wie ein Maskottchen nach Lust und Laune einander überreicht.“
„Irgendwo ist es so. Du bist ein Präsent für die Grausame. Ein lang ersehntes dazu. Ein Leckerbissen.“
„Hör auf mit dem Quatsch. Das ist doch nicht wahr.“
Anna sah ihn traurig an und sagte leise: „Leider ist es aber so. Sie hat lange darauf hingearbeitet, dich endlich in der Anderen Welt zu haben. Und ich war auch noch so blöd, dich ihr auf dem silbernen Tablett zu servieren! Wie es aussieht, habe ich nach ihrer Pfeife getanzt, ohne davon zu wissen. Sie hat mich es einfach machen lassen, verstehst du?“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf, blickte zu ihm schuldbewusst auf und fuhr fort: „Die Grausame hat es alles so eingefädelt, damit es kommt, wie es gekommen ist. Ich habe dich in die Andere Welt geholt. Und jetzt bist du in ihren gierigen Krallen.“
„Unsinn“, gab er verärgert zurück. „Ich bin mit dir mitgegangen. Es war meine Entscheidung. Außerdem, das mit dem silbernen Tablett und so weiter, das ist eine viel zu pessimistische Sicht der Dinge. Das kann man so und anders herum sehen. Und es gibt bestimmt andere Mittel und Wege mit all dem fertig zu werden.“ Er schnappe nach Luft und fuhr fort: „Ich bekomme hier keinen klaren Gedanken zu fassen. Wir müssen zusehen, dass wir zurück zu Alphiras Haus kommen. Zaubere mal schön eine Runde. Du kennst dich besser auf diesem Gebiet aus. Ich kann auch wie eine Maus eine Zeit lang durch die Gänge laufen. Hauptsache, wir kommen hier weg, bevor diese Wahnsinnige mit all ihren wirren Geschichten oder jemand von ihren Schergen auf ihren Geheiß hier auftaucht.“
Kapitel 19. Im Labyrinth der Drachenseelen.
„Also gut. Verschwinden wir hier.“ Anna stellte sich einige Schritte vor Ian entfernt und richtete die rechte Hand auf ihn. Sie hatte auf einmal ihren seltsamen Blick drauf, der ihm zerstreut, wenn nicht abwesend vorkam, und flüsterte etwas in einer Sprache, die er nicht kannte. Die Worte hörten sich so guttural und hart an, ihre Stimme auf einmal tief und fremd. Ein dünner, leuchtender Strahl blitzte aus ihrem Zeigefinger.
Er spürte auf einmal, dass er schrumpfte. Mit jedem Atemzug wurde er kleiner. Der Blitz traf ihn von oben noch einmal und er fing an sich zu drehen, mit jeder Runde immer schneller. Prompt war er ein kleiner, dünner Mäuserich mit einem kupferroten Kopf, der aus dem Haufen, zu dem seine Hose und Hemd zusammengefallen waren, herauskroch und einige unsichere Schritte hin und her trippelte. Der nasse Boden roch widerwärtig nach altem Schmutz und Galle.
Die weiße Ratte schubste ihn in die Seite. Ihre Augen blitzten auf, das eine grün, das andere braun. Sie zeigte mit ihrer spitzen Nase in die hintere Ecke der Kammer, wo ein Loch sich zwischen den dicken Steinblöcken durch einen Durchzug und die dahinter liegende Schwärze abzeichnete. Ian folgte ihr.
Noch bevor die beiden ihr Ziel erreichten, erschütterte ein ohrenbetäubender Donnerschlag die Kammer. Der Boden bebte, die Wände bewegten sich im Takt und gaben ein herzhaftes Knirschen vor sich. Der Mörtel rieselte herunter. Einige Blitze landeten links und rechts von beiden Flüchtlingen. Es roch auf einmal nach angebranntem Fell, ein strenger Geruch nach Verwesung und Schwefel mischte sich dazu und breitete sich schnell im Raum aus. Ein diabolisches Lachen von irgendwo oben ertönte, so laut und vergnügt, dass Ian das Blut in den Adern fror. Er drehte sich um und blieb auf der Stelle stehen.
Die Frau in Schwarz erhob sich auf dem Podest, ihr blasses Gesicht zu einer schmallippigen Lachgrimasse verzogen, die Hände mit ausgestreckten Fingern auf die beiden gerichtet.
Er blickte zu Anna. Sie stand neben ihm, wieder in ihrer menschlichen Gestalt, in dem langen hellen Kleid und starrte mit weit aufgerissenen Augen die Angreiferin an. Er schielte auf sich herunter.
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