Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Er war auch nicht mehr der graue Mäuserich und trug die gleichen Sachen wie zuvor.
Die Herrscherin schlug kräftig mit der Ferse auf die Steine. Der Boden bebte wieder. Ihre Augen blitzten rötlich auf und fokussierten sich auf die junge Frau. Eine gehörige Portion Hohn schwang in ihrer Stimme: „Na, du Anfängerin? Du dachtest doch nicht im Ernst, du kannst mich um den kleinen Finger wickeln! Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich erlaube dir, den Schwarzen Prinzen aus meinem Schloss zu schmuggeln?“ Sie wandte sich zu Ian, die Augen zu schwarzen Schlitzen zusammengekniffen: „Und du, mein Freundchen, für dich habe ich etwas ganz Besonderes! Willst du nicht in Saus und Braus leben, zwischen Gold und Diamanten deine Befehle einer Armee von Dienern erteilen, dann gibt es für dich ein ganz vorzügliches Geschenk. Für solche Helden habe ich einen besonderen Ort!“ Ihr tiefes Lachen ertönte erneut. „Du gehst dahin, wo du hingehörst, zu deinesgleichen! Ich lasse die Bewohner wissen, dass du sie bereits verraten hast. Mal sehen, was sie aus dir machen!“ Ihre Worte hallten zwischen den kahlen Wänden nach: „… sie aus dir machen …“
Die kräftigen Donnersalven krachten über den Köpfen der beiden erneut. Dichte Schwaden von einem grauen, nach Verwesung und Schwefel riechenden Dunst verhüllten die Kammer. Die Worte der Herrscherin klangen tiefer, verzerrt in die Länge gezogen und ertönten schließlich zum letzten Mal: „… aus dir machen.“
Alles drehte sich: die Wände, das Podest, auf dem niemand mehr stand, Anna mit weit aufgerissenen Augen und dem zusammengekniffenen Mund. Dieser seltsame Tanz ging immer schneller und verwandelte sich in ein schwindelerregendes Karussell, bis alles um ihn herum sich in einem grauen Wirbel auflöste. Ian kam es vor, dass etwas über seine Hose hoch huschte, weiter über den Gürtel und hin zu der Brusttasche lief. Er wurde von dem Wirbel mitgerissen, bekam keine Luft, sein Magen verknotete sich, die Galle stieg bis zum Hals hoch und er schmeckte wieder ihre unerträgliche Bitterkeit. Er wollte sich befreien, aber es gelang ihm nicht. Irgendeine unbändige Kraft hielt ihn fest in ihren knochigen Klauen.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, er war schon dabei, die Hoffnung zu verlieren, dass es je aufhört und plötzlich stand alles still.
Obwohl seine Augen angestrengt vor sich starrten, konnte er nur die Schwärze sehen. Die Luft war alt, wie in einem schon lange geschlossen stehenden Keller. Er bewegte leicht die Arme, dann die Beine. Keine Schmerzen. Gut . Seine Füße steckten im Schlamm, der hin und wieder aufblubberte und einen modrigen Geruch frei ließ. Das leise Ploppen der Blasen hallte in der Stille. Die Feuchtigkeit drang in die Schuhe, seine Füße wurden kalt, er fröstelte. Ian streckte die Arme nach vorne – nichts, schwang sie nach hinten – gleiches Ergebnis. Er breitete sie die zu den Seiten aus und seine Hände stießen sofort auf einen kalten, porösen Stein. Er hob die rechte Hand hoch. Sie kam gegen eine Decke, die in etwa einer halben Armlänge über seinem Kopf anfing.
Etwas rührte sich an seiner Brust. Durch den dünnen Stoff seines Hemdes fühlte es sich an, als ob ein Hamster sich in seiner Brusttasche verfängt hätte und gab sich nun alle Mühe dort herauszukommen. Noch bevor Ian etwas tun konnte, sprang das Tier heraus und landete mit einem lauten Plumpsen im Schlamm. Einige Sekunden lang drehte sich etwas vor ihm. Die stehende Luft wirbelte, dutzende Tropfen landeten auf seinen Hosen und dem Hemd. Und plötzlich spürte er die Wärme von jemandem, der nah an ihm stand. Ian streckte seine Hand aus und traf auf ein nasses Stück Leinen.
Ein herzhaftes Schimpfen unterbrach die beklommene Stille: „Verfluchter Mist! Dieses unverschämte Monstrum von Frau hat uns tatsächlich in dieses verdammte Labyrinth gesteckt! Scharta hat von vorne rein gewusst, dass es so kommt. Und habe es nicht verhindern können!“
„Anna?“, fragte er leise.
„Klar, wer denn sonst?“ Groll in ihrer Stimme war kaum zu überhören. „Wer noch würde dir bis in die Höllen der Grausamen folgen? Kennst du noch jemanden?“
„Nein, kenne ich nicht. Aber schön, dass du da bist. Ich mag nicht besonders in den dunklen Tunneln allein zu wandern. Ich bevorzuge es in einer netten Gesellschaft zu tun, die mich so wunderbar unterhält. So macht es mehr Spaß“, grinste er. „Wie hast du es geschafft, mitzukommen?“
Die Jungmagierin tastete die Wände
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