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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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nicht bis zu Deinem Geburtstag. Warten wir bis Weihnachten.“
    „So lange?“
    „Was würdest Du vorschlagen?“
    „Eine Woche.“
    „Eine Woche ist viel zu kurz.“
    „Die Zeit, während der Du nicht da warst, war sehr lang.“
    „Ein Vierteljahr.“
    „Zu lang.“
    „Also gut. Aber gib uns wenigstens 40 Tage. Das ist schon eine sehr kurze Zeit. Wenn unsere Liebe stark ist, wird sie sich mindestens so lange gedulden.“
    „40 Tage? Also gut. Einverstanden.“
    Sie zeigte mir ein Siegerlächeln.
    „Aber küssen dürfen wir uns schon?“, fragte sie.
    „Ich denke schon. Küssen dürfen wir uns.“
    Und wir setzten dieses Einverständnis in die Tat um.

52.      Kapitel

 
 
    Den weiteren Samstag verbrachten wir damit, unsere neue Zweisamkeit auszukosten. Selbst wenn unser Spielraum dabei nun klar begrenzt war, war es einfach herrlich, den Tag als Paar zu verbringen. Wie sehr hatte ich und hatte auch Annabell darauf gewartet.
    Gemeinsam beseitigten wir die Schäden des Hurrikans, sonnten uns im Garten, gingen schwimmen und machten einem Spaziergang am Strand. Am Abend gingen wir begleitet vom Zirpen der Grillen, die in der lauen Sommernacht ein Ständchen darboten, hinaus zu unser Bank auf dem Plateau und beobachteten, eng umschlungen, die Sterne, die aus einem klaren Nachthimmel auf uns hinabstrahlten, während die Brandung sich sanft, so ganz anders als noch am Tag zuvor, an den Felsen unter uns brach. Der abnehmende Mond stand über der Bucht und malte eine glitzernde Straße von silbrigem Licht auf die winzigen Kämme der Wellen und wir fragten uns, wohin unser Weg uns führen mochte, falls wir ihn gemeinsam weitergingen.
    „Was passiert wohl, wenn ich am Ende doch … gänzlich Deine Frau werde und es jemandem auffällt?“, fragte Annabell.
    Es war Sonntag, wir waren gerade aufgewacht und sie schmiegte sich an mich.
    „Wenn wir es richtig anstellen, wird es niemandem auffallen. Wenn es doch jemandem auffällt“, sagte ich leichthin, „passiert nichts weiter. Die Einwohner dieses schönen Städtchens werden schockiert die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Onkel Charlton wird so etwas sagen wie ‚Nicht zu fassen, nicht zu fassen’. Der Reverend wird ein Gebet für uns sprechen, um Vergebung dafür bitten, dass ich aus tiefster lüsterner Verderbtheit, es unternommen habe, meine Schwester, ein unschuldiges Kind von geradezu übernatürlicher Reinheit zu verführen, und dafür, dass Du, das ehemals unschuldige, nunmehr bedauerlicherweise befleckte Kind, dieser Verführung nicht widerstanden hast.“
    „Es fragt sich hier wohl, ob eine Verführung notwendig wäre“, warf Annabell verschmitzt ein und ließ ihre Hand unter der Bettdecke an meinem Bein hochwandern.
    „Das, mein kleiner Liebling“, korrigierte ich in aufgesetzt tadelndem Tonfall, „ist in diesem Zusammenhang sowohl juristisch als auch moralisch leider ohne jede Bedeutung.“
    Ich hielt ihre Hand auf, um die Unterhaltung konzentriert fortsetzen zu können.
    „Jedenfalls werden die öffentliche Meinung und die Gerichtsbarkeit uns ohne viel Federlesens verurteilen. Na ja und spätestens dann“, fügte ich beiläufig hinzu, „wird die Polizei mich abholen und einsperren. Dich vielleicht auch“ – ich machte eine dramatische Pause, um dieses Schreckensbild auf Annabell einwirken zu lassen – „Was hattest Du erwartet?“
    Es war tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass so ein Szenario sich verwirklichen würde. Auf großes Verständnis durften wir nicht hoffen – nicht vor Gericht und nicht bei den Leuten in einer Kleinstadt wie South Port.
    Annabell blieb gelassen. So als dürfe sie ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass ich über ein Patentrezept für ein Szenario wie das unsere verfügte, fragte sie: „Und was machen wir nun? Ich meine, wir warten den Monat ab, wie wir es besprochen haben. Aber wie sollen wir uns in der Öffentlichkeit verhalten? Ich möchte nämlich nicht, dass die Polizei Dich abholt.“
    „Ich würde sagen, wir verhalten uns ganz unauffällig und Du erwähnst vielleicht einfach nicht gleich zu Beginn einer Unterhaltung, dass Du Dich danach verzehrst, mit Deinem Bruder und Vormund zu schlafen – wieder und wieder und wieder und wieder – und dass Du es ganz ungemein genießen würdest, weil er wahnsinnig gut im Bett ist.“
    Annabell gab mir einen leichten Stoß in die Rippen.
    „Jetzt sei doch mal ernst. Das macht mir wirklich Sorgen.“
    Die Wahrheit war: Es machte auch mir

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