Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Bedingung.“
Hoffnungsvoll sah sie mich an.
„Und die wäre?“
„Wir bleiben die ganze Nacht über angezogen und diesen Kuss gerade lassen wir als Gutenachtkuss gelten. Einverstanden?“
„Keine Verhandlungen?“
„Keine Verhandlungen“, sagte ich ernst.
Sie zögerte.
„Also gut, Big Brother“, entgegnete sie schließlich spöttisch lächelnd.
„Ja, ich wache über Dich. Ich werde heute Nacht auf uns beide aufpassen.“
Annabell nickte nur. Ich stand auf, hob sie auf meine Arme und trug sie mit lauthals schlagendem Herzen abermals die Treppe hinauf. Wortlos setzte ich sie auf das große Bett im Hauptschlafzimmer, brachte ihr ihren Pyjama und wandte mich ab, während sie ihn anzog und unter die Decke schlüpfte.
Wir liebten uns in dieser Nacht – wenn wir uns auch strikt an die Vereinbarung hielten und so keusch blieben, wie eine Rosenknospe im Morgentau. Doch eng umschlungen mit Annabell in meinem Arm zu schlafen, war größer als jede körperliche Leidenschaft, die ich bis dahin mit irgendeiner Frau erlebt hatte. Diese Liebe würde von nun an mein Lebenselixier sein und ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um sie zu erhalten und zu verteidigen.
‘My sister – my sweet Sister – if a name dearer and purer were – it should be thine. [7] ’
Vierter Teil
51. Kapitel
Ich erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als die helle Morgensonne bereits warm durch die großen Fenster schien. Die Bucht lag friedlich und spiegelglatt im Sommerlicht. Das Unwetter war vorübergezogen. Es hatte, wie wir später erfuhren, entgegen den Prognosen der Meteorologen seinen Kurs geändert und die Küste des Staates Massachusetts lediglich gestreift. Ein glücklicher Zufall. Ich mochte mir nicht ausmalen, welche Verwüstungen Bonnie angerichtet hätte, wenn sie direkt über South Port hinweg gezogen wäre. In Maine, wo sie mit abgeschwächter Gewalt auf Land gestoßen war, hatte sie Bäume entwurzelt, Hausdächer abgedeckt und Autos umgeworfen, bevor sich ihre Kraft über Land endgültig erschöpft hatte.
Im Angesicht des jungen Tages erschien der Sturm wie ein dunkler Traum und ich erschrak bei dem Gedanken, ich könne mir auch den vergangenen Abend nur eingebildet haben. Doch ein Blick zu meiner Rechten zeigte mir, dass alles, was ich mit Annabell erlebt hatte, echt gewesen war. Sie lag selig schlummernd auf dem weichen Kissen neben mir. Das Sonnenlicht tanzte in ihrem Haar. Es ließ die Spitzen rötlich aufleuchten und verlieh ihrer Alabasterhaut einen seidigen Schimmer. Sie war wunderschön, kaum zu beschreiben. Meine Befürchtung, auch ihr Glanz könne nach der Nacht, die wir zusammen verbracht hatten, verblasst sein, wie es bei Jessica und den vielen anderen der Fall gewesen war, erwies sich zu meiner Erleichterung als unbegründet. Hatte es damit zu tun, dass wir uns an das Keuschheitsgelübde gehalten hatten?
Ich verbrachte eine ganze Weile damit, Annabell nur zu betrachten. Dann beugte ich mich zu ihr hinunter und küsste sie sanft auf die Wange.
„Guten Morgen, mein Liebling“, flüsterte ich. Sie schlug die Augen auf und ein Strahlen überzog ihr Gesicht – keine Reue, kein Vorwurf, nur Freude.
„Guten Morgen.“
„Hast Du gut geschlafen?“
„So gut wie lange nicht mehr.“
Sie setzte sich auf und streckte sich. Ich nahm sie bei der Hand und führte sie hinaus auf den Balkon. Annabell stellte sich an das Geländer. Ich stellte mich hinter sie und legte die Arme um ihre Taille.
Der Garten unter uns war im Wesentlichen von dem Sturm verschont geblieben. Nur hier und da sah man herabgefallene Zweige und die Spuren des starken Regens, wie abgeknickte Rosentriebe oder Blütenblätter, die verstreut auf der feuchten Erde lagen. Der Himmel war wolkenlos blau. Im Trompetenbaum neben uns spielten drei Meisen miteinander Fangen und in den Wipfeln des Magnolienbaumes begrüßte ein Amselpärchen zwitschernd den neuen Morgen.
„Es sieht so schön aus. So friedlich“, sagte Annabell.
„Nicht halb so schön wie Du.“
Sie drehte sich um und liebkoste mich mit ihrem Blick. Nur ihr Gesicht zu sehen, in ihren strahlende Augen zu lesen, beschleunigte meinen Herzschlag. Dann schloss sie meinen Mund mit einem langen Kuss und versetzte meinen Körper so in einen Glückszustand, doch ich schaffte es, dem Verlangen zu widerstehen.
So wundervoll fühlte es sich an, sie im Arm zu halten und von ihr geküsst zu werden, dass sich eine unbestimmte Furcht einstellte, sie wieder zu
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