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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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und Hawthornes Ärger über meinen Urlaub waren weggefegt. Annabell wollte mir den Aussichtspunkt am Meer zeigen, den ich schon kannte. Das kam mir nur gelegen. Wir würden uns auf die Bank setzen. Dicht nebeneinander. Annabell hatte meinem wiederholten Angebot, den Wein mit mir zu teilen, zwar widerstanden. Aber so nah beieinander …
    Willig ließ ich mich von ihr die kleine Böschung hinauf und zwischen den Büschen hindurch zu dem Plateau führen. Ohne die Hitze des Tages und in so netter Begleitung war der Weg deutlich angenehmer.
    Ich behielt für mich, dass ich schon einmal hier gewesen war, und zeigte mich überrascht von dem Ausblick. Meine Begeisterung musste ich nicht heucheln. Der Blick war auch beim zweiten Mal noch grandios. Die See war nun ruhiger als noch am Nachmittag und die Abendsonne schmolz das Wasser zu sacht sich kräuselndem Gold.
    Wir setzten uns auf die Bank: Annabell an den rechten Rand, um einen angemessenen Abstand zu halten, ich relativ mittig, um den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Ich genoss es, sie zu betrachten, während der Wind hier und da sanft durch ihr Haar wirbelte, das in der Abendsonne schimmerte.
    Annabell erzählte mir, dass am folgenden Tag ein paar Freunde zum Strand kommen wollten – sie wies dabei auf die Bucht links von uns. Cathy und Jennifer würden auch dabei sein. Und auch ein paar Jungs.
    Bei dem Wort ‚Jungs‘ wurde ich hellhörig. Was waren das für ‚Jungs‘? Ich hatte bisher nur darüber nachgedacht, ob die Kleine schon alt genug war, um sich von mir verführen zu lassen. An andere männliche Anwärter hatte ich überhaupt noch nicht gedacht. Das war offensichtlich weltfremd und ich ärgerte mich ein wenig über diese Fehleinschätzung. In ihrem Alter würde sie natürlich den einen oder anderen Kontakt zu Jungen haben. Womöglich hatte sie sogar einen festen Freund. Eifersüchtig versuchte ich, Näheres in Erfahrung zu bringen: „Nette Jungs?“
    Sie lachte. Vielleicht war mein Interesse zu deutlich geworden.
    „Jason ist ganz süß“, antwortete sie und ließ mich zappeln. Auf meinen fragenden Blick hin führte sie weiter aus: „Jason Warner. Er war eine Stufe über mir und hat in diesem Jahr seinen Abschluss gemacht. Ein Freund von Cathys Bruder. Er spielt Football. Cathy hat mir erzählt, dass er ihren Bruder über mich ausgefragt hat und dass er morgen auch kommen will.“ Sie sagte es scheinbar beiläufig, aber ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
    Jason also. Ganz süß. Footballspieler. Klischee-Mädchenschwarm.
    Ich sah ihn eher mit einer Eishockeymaske – Jason Vorhees.
    Aber Konkurrenz belebt das Geschäft. Und konnte man hier ernsthaft von Konkurrenz sprechen? Ein zukünftiger College-Student im Vergleich mit einem erfolgreichen Anwalt. Der dummerweise der Halbbruder seiner Angebeteten war, zugegeben. Aber das war doch wirklich ein zu vernachlässigendes Detail.
    Vermutlich war dieser Jason so ein gewöhnlicher kleiner Lüstling, der meine Schwester auf dem Rücksitz eines schäbigen Kleinwagens entjungfern und sie dann sitzen lassen wollte. Ein stil- und charakterloser Main-Stream-Jugendlicher ohne Zukunft. Aber wir würden noch sehen, wer da am längeren Hebel saß oder einen längeren Hebel hatte.
    „Jason. Aha. Vielleicht sollte ich ihn mir mal ansehen?“ antwortete ich mit der Attitüde vormundschaftlichen Pflichteifers.
    Annabell ging nicht darauf ein.
    „Na klar“, entgegnete sie leichthin. „Komm doch morgen auch mit. Wenn es Dir nicht zu langweilig ist, mit uns.“
    „Ach, ganz im Gegenteil. Ich habe morgen ohnehin nichts vor. Und einen Tag am Strand hatte ich lange nicht mehr.“
    „Super. Cathy wird sich freuen.“ sagte sie mit einem Verschwörerlächeln.
    „Na, wenn das so ist. Kann ich ja nicht Nein sagen.“ Was ich nicht alles auf mich nehmen würde …
    Daraufhin lächelte Annabell und sah mit einem undefinierbaren Ausdruck in die weite Ferne.
    Wir saßen noch eine ganze Weile so da und waren still. So dicht neben ihr hatte ich das Gefühl, in der kühlen Luft die Wärme zu spüren, die ihr Körper abgab. Ich sog unauffällig ihren Duft ein und er berauschte mich abermals. War sie es, die so duftete oder ein besonderes Parfum oder die Kombination aus beidem? Ich konnte es nicht erklären. Aber es war einfach verlockend.
    Ich rückte ein Stück näher an sie heran. Sollte ich den Arm um sie legen? Wie würde sie das auffassen? Wie die Geste eines liebevollen Bruders? Wäre sie eine andere

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