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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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Balkon die Außenlautsprecher einer Musikanlage. Annabell hatte eine CD eingelegt und, als ich ihr zutoastete und mich für das Abendessen bedankte, ertönte Mozarts Konzert für Klarinette und Orchester in A.
    Das Essen, der Garten, der Sommerabend, das Zirpen der Grillen, entferntes Meeresrauschen, die Musik, dieses Mädchen. Es war ein Fest für die Sinne. Das Musikstück erinnerte mich immer an den Film „Out of Africa“ und ich kam mir vor wie Denys Finch Hatton, der mit Baronin Blixen dinierte.
    Erst im zweiten Moment war ich überrascht von der Musikauswahl.
    „Du magst klassische Musik?“, fragte ich und stopfte ein Stück Ciabatta-Brot und ein großes Stück eines würzigen griechischen Hirtenkäses in den Mund. „Ungewöhnlich für ein junges Mädchen.“
    Sie runzelte die Stirn: „So jung bin ich doch nun auch nicht mehr. Wie viele Jahre trennen uns?“
    „Spielt das offizielle Alter so eine große Rolle?“
    „Nein, nicht immer.“
    „Es sind fünfzehn.“
    Sie sah mich prüfend an.
    „Wir waren bei der Musik.“
    „Genau. Meine Oma mochte gern klassische Musik. Sie hat sie häufig zum Essen angemacht. Und ich dachte, wenn wir beide hier zusammen essen …“
    „Weil ich auch ‚alt’ bin?“
    „Nein, gar nicht. Du siehst jünger aus, als Du bist.“ Sie beeilte sich auffallend, die Sache richtigzustellen. „Ich mag die Musik selbst gern.“ Unsicher, ob sie meinen Geschmack verfehlt hatte, fügte sie hinzu: „Soll ich was anderes auflegen?“
    „Nein, auf keinen Fall.“ Ihre zuvorkommende Art war wirklich charmant. „Ich bin Deiner Oma dankbar für die Musikauswahl.“
    „Aber wir haben auch andere Sachen zusammengehört – sogar Punk-Rock.“
    „Deine Oma scheint eine tolerante Frau gewesen zu sein.“
    „Das war sie. Aber ich würde eher sagen, sie war offen für neue Dinge. Sie hat sich mit vielen Sachen beschäftigt, die mich interessiert haben.“
    Ich konnte nicht widerstehen, mit ihr zu flirten: „Und was interessiert Dich im Moment?“
    Wie stand sie zu mir? Neugierig sah ich ihr tief in die Augen, in der Hoffnung dort eine Antwort zu finden. Oh, diese strahlenden Augen. Blaugrüne Seen von rätselhafter Tiefe.
    „Na ja.“ Sie wich meinem Blick aus und dachte kurz nach, erwiderte ihn aber sogleich wieder. „Im Moment interessierst Du mich.“
    Ich musste unwillkürlich schlucken. Das war direkt. Meinte sie das ernst?
    Auf meinen überraschten Blick hin präzisierte sie: „Ich meine zum Beispiel: Wohnen wir ab jetzt zusammen?“
    „Wohl kaum.“ Die Empörung über Rutherford wallte unbeabsichtigt in mir auf. „Dein Onkel Charlton stellt sich das so vor, ja. Aber das funktioniert nicht. Ich muss in Boston sein. Ich arbeite achtzig Stunden in der Woche und mehr. Ich habe keine Zeit zu pendeln. Und ich habe auch keine Zeit, mich um Dich zu kümmern. Der Richter muss jemand anderen finden.“
    Die Worte waren einfach so aus mir herausgesprudelt. Der Ärger des Vormittags war noch nicht verflogen. Er hatte sich in mir festgebissen.
    Annabell sah mit einem Mal sehr traurig und verloren aus und mein Magen zog sich zusammen. Ich wollte die Worte gern zurücknehmen.
    „Hey, tut mir leid. Ich meine eigentlich nur, dass es schwierig wird. Ich muss wirklich lange arbeiten. Aber andererseits: Wofür habe ich einen Porsche? Ich bin ja Ruck-Zuck von hier aus in Boston. Für eine Zeit wird es sicher gehen.“
    Ihre Miene hellte sich etwas auf. Und es stimmte. Es würde irgendwie gehen. Und das Letzte, was ich wollte, war, der Kleinen all zu bald Lebewohl zu sagen.
    „Macht es Dir denn Spaß? Die Arbeit, meine ich“, fragte Annabell.
    „Ja, doch. Natürlich.“ Was konnte ich ihr über meine Arbeit sagen? „Ich habe vielschichtige Probleme zu lösen und von meiner Lösung hängen hohe Summen ab. Ich trage eine Menge Verantwortung.“
    „Das klingt anstrengend.“
    „Man muss schon extrem belastbar sein, in diesem Geschäft. Ich habe nur mit Top-Leuten zu tun. Als Mandanten und als Kollegen. Diese Woche erst war der CEO und Mehrheitsgesellschafter eines Milliardenunternehmens bei mir - ein toller Kerl, eine beeindruckende Persönlichkeit. Er war ganz begeistert von meinen Ideen und hat mich zu seinem persönlichen Ansprechpartner in der Kanzlei gemacht. Ich verdiene jetzt schon gutes Geld und die Partnerschaft ist in greifbarer Nähe.“
    Wenn sie beeindruckt war, so ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. „Also machst Du es vor allem des Geldes wegen? Du verbringst einen

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