Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
17 der General Laws, der allgemeinen Gesetze, des Commonwealth of Massachusetts geregelt, die eine weite Palette sexueller Aktivitäten zwischen Blutsverwandten unter Strafe stellte. Die persönlichen Voraussetzungen waren bei Annabell und mir erfüllt.
Bei meiner Recherche stieß ich auf einige weitere interessante Fakten:
Schon Pharaonen oder Inka-Könige hatten ihre eigenen Schwestern zu Ehefrauen genommen. Eine DNA-Untersuchung soll ergeben haben, dass der berühmte Tutenchamun der Sohn Echnatons, aber nicht seiner schönen Gemahlin Nofretete, sondern seiner Schwester oder vielleicht sogar Tochter war und dass Tutenchamun selbst seine Schwester oder Halbschwester Anchesenamun geheiratet habe. Solche Verbindungen seien innerhalb der königlichen Familien nicht unüblich gewesen und hätten sich auch später fortgesetzt. Kleopatra sei die Gemahlin zweier ihrer Brüder gewesen. Der Sapa Inka im heutigen Peru habe nur mit seiner Schwester einen Nachfolger zeugen dürfen. Auch in Tonga oder im Sudan sei Inzest aus dynastischen Gründen praktiziert worden. Die ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris waren Geschwister. Ebenso Hera und Zeus. Selbst Abraham war dem ersten Buch Mose zufolge der Halbbruder seiner Frau Sara.
Auf der anderen Seite waren die Kinder Tutenchamuns und seiner Schwester tot geboren worden und der Pharao selbst war krank und schwächlich gewesen. Die Wahrscheinlichkeit für Erbkrankheiten stieg nach verbreiteter Auffassung bei zunehmender biologischer Ähnlichkeit. Schon im Gesetzeswerk des babylonischen Königs Hammurabi waren Beziehungen zwischen Verwandten in gerader Linie verboten, allerdings nicht Beziehungen zwischen Bruder und Schwester.
Die Gesetzgebung von Massachusetts sah das wie gesagt anders. Schon aus diesem Grunde konnte eine Affäre mit Annabell überaus spürbare Folgen für mich haben: Neben meiner Anwaltszulassung riskierte ich eine Freiheitsstrafe von bis zu zwanzig Jahren. Ferner war in Kapitel 272 Sektion 4 der General Laws ein das Alter der sexuellen Mündigkeit auf achtzehn Jahre festgelegt, wenn das minderjährige „Opfer“ ein keusches Leben führte. Sah man diese Voraussetzung vorliegend als erfüllt, verübte ich eine Vergewaltigung im Rechtssinne, wenn ich mit Annabell allzu nahe Bekanntschaft machte. Erstaunlicherweise kam dagegen eine Eheschließung nach Kapitel 207 mit elterlicher und gerichtlicher Zustimmung für Mädchen bereits ab dem zwölften Lebensjahr in Betracht.
Auf der anderen Seite war Annabell einfach unwiderstehlich. Wahrscheinlich war ich dieser Anziehungskraft so ausgesetzt, weil wir nicht zusammen aufgewachsen waren. Sie war alt genug für mich. Giulia Farnese, la bella Giulia, die langjährige Geliebte des Kardinals Rodrigo Borgia und späteren Papstes Alexander VI. etwa soll diesem einigen Quellen zufolge ab ihrem fünfzehnten Lebensjahr - zugleich dem Jahr ihrer Eheschließung mit Borgias Mündel Orsini - ihre Gunst geschenkt haben. Der Kardinal wurde in dem Jahr achtundfünfzig. Ihrem Bruder, dem Papst Paul III., vermachte sie nach ihrem Tode zum Zeichen, dass sie durch ihren besonderen Einsatz seinen Aufstieg in der Kirchenhierarchie befördert hatte, ihr Bett. Konnte man Annabell nicht ebensolchen Einsatz für ihren Bruder zumuten?
Was sie wohl gerade anhatte? Einen traditionellen Pyjama? Dafür war es zu warm. Es musste wohl etwas Kurzes, Luftiges sein. Ob sie vielleicht sogar nackt schlief? Nur das Laken über dieser hellen , samtweichen Haut und ich nur einen Raum entfernt. Wenn das Laken nun zur Seite rutschte, während sie schlief … Es war kaum auszuhalten. Es war zu verlockend. Selbst wenn die Gefahr bestand, dass es mein Leben auf den Kopf stellen würde, sie anzurühren, ich musste es in Kauf nehmen. Und im Übrigen: Wo kein Kläger, da kein Richter – wie überall im Leben. Es musste mir nur darauf ankommen, das Ganze ein wenig unter der Decke zu halten – im übertragenen, wie im wörtlichen Sinne.
So walle denn, Wälsungenblut.
24. Kapitel
Am nächsten Morgen weckten mich die Sonnenstrahlen, die durch die geblümten Vorhänge fielen. Es war schon 9.26 Uhr. Ich räkelte mich und lauschte. Von unten hörte ich Musik und Küchengeräusche. Annabell war demnach schon wach.
Ich hatte unruhig geschlafen. In dem Traum, an den ich mich erinnerte, hatte ich Royce DeVere und den Anwälten von Baker & Butcher gegenübergestanden. Ich sollte eine neue Steuergestaltung rechtfertigen, aber so sehr ich es auch
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