Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
sehr großen Teil Deines Lebens damit.“ Die Frage klang irgendwie sehr kritisch. So als ob es nicht einfach großartig wäre, irrsinnig viel Geld zu machen. Wie alt war sie? Siebzehn oder fünfundvierzig? Dieses Mädchen war wirklich ungewöhnlich.
„Nein, es ist einfach eine tolle Arbeit. In einem super Team. Du müsstest Hawthorne, unseren Seniorpartner, mal kennenlernen. Ein herausragender Mann.“
In welchem Fantasieland lebte die Kleine? Des Geldes wegen. Natürlich machte ich das Ganze des Geldes wegen. Wer nicht? Das war doch der Zweck der Arbeit. Wenn es anders wäre, hieße es „Spaß“, nicht „Arbeit“. Die wenigsten konnten ernsthaftes Geld mit Tätigkeiten verdienen, die Spaß machten. Und wenn man eine spaßige Sache professionell aufzog, so dass sie den maximalen Profit einfuhr, machte die Sache Arbeit und war nicht mehr ganz so spaßig. Und ohne Geld konnte man sich nun einmal nicht all die Annehmlichkeiten leisten, die ich mir leistete und noch leisten wollte. Autos, Apartment, Landhaus, Jacht, Personal, Zeit und Unabhängigkeit. Das alles wollte finanziert sein. Überdies verlieh Geld einen ganz besonderen Genuss: Macht. Macht über alle, die es auf mein Geld abgesehen hatten. Macht mit allen ihren Ausprägungen: Herrschaft, Ruhm, Liebe. Frauen liebten reiche Männer. Besonders junge und hübsche Frauen. Man denke nur an DeVere und Janet. Aber es gab noch so viele andere. Wenn man das Leben genießen wollte und nicht zufällig das Glück hatte, reich geboren zu sein oder in der Lotterie, an der Börse oder sonst wo zu gewinnen, musste man eben dafür schuften.
„Was willst Du denn später mal machen? Du wirst doch sicherlich auch irgendwie Geld verdienen wollen“, fragte ich Annabell.
„Mir ist Geld nicht übermäßig wichtig. Ich glaube, der Beruf sollte auch etwas mit Berufung zu tun haben. Der Reverend sagt, man ist zufrieden, wenn man etwas macht, das man für sinnvoll hält und wozu man eine natürliche Beziehung hat. Man muss versuchen, seine angeborenen Talente zu erkennen und sie zur Entfaltung bringen, nach Möglichkeit etwas tun, das auch anderen zugutekommt. Und ich glaube, er hat recht . Ich weiß noch nicht, was ich machen werde. Vielleicht was mit Büchern. Ich lese gern. Vielleicht kann ich in einem Verlag arbeiten oder im Buchhandel. Oder vielleicht kann ich Literatur unterrichten oder selbst was schreiben. Auf jeden Fall will ich auch Zeit haben, um schöne Dinge zu erleben. Nicht immer nur arbeiten.“
Ach so. Fräuleinchen war Geld also nicht so wichtig. Na kein Wunder. Die meisten, die sagten, Geld sei ihnen nicht so wichtig, hatten entweder genug davon oder waren bei dem Versuch, viel zu bekommen, gescheitert. Annabell lebte hier in einem recht stattlichen, wenn auch mittlerweile maroden Haus, und machte sich schlicht keine Gedanken darüber, was das Leben kostete. Aber sie würde schon sehen, was Geld bewirken konnte, wenn es darum ging, diesen Kasten instand zu halten oder die laufenden Rechnungen zu bezahlen. McCandles geistreiche Ratschläge waren so weltfremd. Die breite Masse, ja der größte Teil der Menschheit, hatte überhaupt keine Wahl, Beschäftigungen nachzugehen, zu denen er sich berufen fühlte. Die Leute waren froh, wenn sie schlicht was zu beißen oder ein Glas frisches Wasser hatten. Sinnvolle Arbeit war doch ein Luxusproblem. Und worin sollte der Sinn einer Arbeit liegen? Ein guter Zweck. Das war ja sehr vielsagend. Sollten alle Pfarrer werden? Ich ärgerte mich über so viel Unverstand, ließ es aber auf sich beruhen. Man durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und mein Ziel saß weniger als einen Meter von mir entfernt und biss genüsslich in ein Stück Brot.
22. Kapitel
Wir saßen nach dem Essen noch eine lange Zeit auf der Terrasse und unterhielten uns. Annabell machte alles andere als den Eindruck eines stumpfsinnigen Teenagers, der nur für Mode, Make-up, Musikgruppen oder dergleichen Interesse hatte. Wenn man sich mit ihr unterhielt, hatte man das Gefühl, sie wäre um Jahre älter. Ich führte das darauf zurück, dass sie mit alten Leuten wie ihrer Großmutter, McCandle und Rutherford aufgewachsen war. Meinen Plänen war es jedenfalls nicht abträglich. Denn so durfte ich hoffen, dass sie auch in anderen Bereichen ihrem Alter voraus war.
Nachdem ich eine ganze Flasche Wein geleert hatte, war meine Stimmung so gut und gelöst wie schon lange nicht mehr. Die Gedanken an all die unerledigten Arbeiten im Büro
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