Annas Erbe
Wort, unter dem sich Thann nur die Fortsetzung des Regens vorstellen konnte. Er war müde und freute sich auf sein Bett und einen letzten Schluck.
Als er den Schlüssel umdrehen wollte, bemerkte Thann, dass seine Wohnungstür unverschlossen war. Er hielt den Atem an, griff nach seiner Dienstwaffe und entsicherte sie.
Sein Herz klopfte, der Pulsschlag arbeitete mächtig zwischen seinen Rippen. Thann gab sich Mühe, die Tür lautlos zu öffnen, doch als sie aufsprang, klickte es vernehmbar. Er streckte die Waffe mit beiden Händen in Schulterhöhe von sich und zielte in den dunklen Flur. Er wartete und lauschte.
Stille.
Schritt für Schritt schob er sich in die Wohnung. Sein Herz schien den Brustkorb sprengen zu wollen. Langsam erreichte Thann die Tür zum Wohnzimmer – offen! Er hielt inne. Kein Geräusch, weder Schritte noch das Atmen einer anderen Person. Die Türen zu den übrigen Räumen waren verschlossen. Kein Lichtstrahl, kein Laut. Thann nahm die linke Hand von der Pistole und tastete vorsichtig nach einem Schalter. Die Pistole in seiner Rechten zitterte stark. Die Finger krampften sich um das kalte Metall. Die Linke bekam den Lichtschalter zu fassen. Das Wohnzimmer stand in gleißendem Licht.
Obwohl geblendet, sah er sofort, dass niemand im Zimmer war.
Er fuhr herum und hielt die Waffe in Richtung Küche, Bad und Schlafzimmer. Keine Regung. Drei verschlossene Türen, die ihn drohend anschwiegen. Thann blickte noch einmal zurück, um sich zu vergewissern.
Er sah ein Bild der Verwüstung. Alle Schränke und Regale waren geleert, die Wände beschmiert, der Fernsehapparat in Trümmer zerschlagen. Langsam schlich er in den Flur, die Waffe noch immer zitternd von sich gestreckt.
Erst als er sich überzeugt hatte, allein in der Wohnung zu sein, atmete Thann auf. Er schloss die Wohnungstür, sicherte seine Waffe und verständigte die Nachtschicht des nächsten Schutzbereichs. Dann befiel ihn von Neuem die Panik. Denn man wird versuchen, es mir wieder wegzunehmen.
Das Album!
Er hatte es im Auto zurückgelassen. Er rannte hinunter. Da stand sein alter Golf, friedlich unter der Straßenlampe. Thann nahm das Erste-Hilfe-Kissen aus dem Kofferraum und presste es atemlos gegen seine Brust.
Eine Stunde später schmiegte er sich an Evas warmen Körper, zwei Hände ineinander verflochten. Thann wusste nicht, ob er in dieser Stellung einschlafen konnte. Er wusste nicht, ob er überhaupt schlafen würde. Egal! Evas Nähe tat ihm gut.
Als die Kollegen den Schaden aufgenommen und ihre Spurensuche beendet hatten, war ihm klar geworden, dass seine Wohnung in dieser Nacht nicht sein Zuhause sein konnte. Es waren nicht die Zerstörungen. Es war nicht einmal die Drohung, mit schwarzem Filzschreiber an die Wand geschmiert, an der vorher die Unterlagen zu seinem Fall gehangen hatten. Es war das Bewusstsein, dass die Tür jederzeit wieder von ungebetenen Besuchern geöffnet werden könnte.
Sein privatester Ort trug eine unsichtbare Verletzung, so furchtbar wie der Satz an der Wand seines Wohnzimmers:
THANN, DICH MACHEN WIR ALLE!
Als er spürte, dass Eva in tiefem Schlaf lag, stand er vorsichtig auf und schlich im Dunkeln zu seiner Sporttasche, in die er in seiner Eile das Nötigste gepackt hatte. Er tastete zwischen Kleidungsstücken und Rasierapparat, bis seine Hand fasste, was er jetzt brauchte.
In seinen Fingern wölbte sich das schwere Glas. Er schraubte am Verschluss, hob die Flasche gegen den trüben Schein der Straße, der durchs Fenster fiel, und setzte zu einem einzigen, langen Schluck an, der ihm Frieden und Schlaf bringen sollte.
58.
Freitag, der 21. Dezember. BLITZ, Seite 1:
DIE TEUERSTE ATEMLUFT DER WELT!
POLIZEI VERSCHWENDET MILLIONEN!
Der neueste Schildbürgerstreich. Zum Totlachen, wenn es nicht so traurig wäre! Was kostet ein Kubikmeter Atemluft? Der Polizeipräsident weiß es: 8,5 Mios! So viel verschlingt zurzeit die sinnloseste Baustelle Deutschlands. Ort der Verschwendung: Das Präsidium. Alle 52 Zellen des Polizeigewahrsams werden derzeit vergrößert. Von 28,9 Kubikmeter Rauminhalt auf 30. Kosten: 8 495 000 Mark! Ein Sprecher des neuen Präsidenten Harald (Bumm-Bumm) Bollmann: Verwaltungsvorschrift. Die Festgenommenen brauchen so viel Luft zum Atmen. Ist Bumm-Bumm balla-balla? Zum Vergleich: Durchschnittsgröße eines Polizistenbüros: 26 Kubik. Architektennorm für Kinderzimmer: 25 Kubik. Umkleidekabine im Sportverein (immer dicke Luft!): 11 Kubik!
BLITZ
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