Annas Erbe
war überzeugt, dass Lemke ihn verstanden hatte.
54.
Zum dritten Mal an diesem Tag betrat Thann das Krankenhaus. Diesmal, um einen Patienten nach Hause zu begleiten.
Er hatte sich mit Eva verabredet. Sie half ihrem Adoptivvater gerade beim Packen, als Thann das Zimmer betrat. Es dauerte eine Weile, bis Hans-Werner Kurz seine Trinkgelder an das Pflegepersonal der Station verteilt hatte. Dann fuhren sie in Thanns Auto zum Haus des Expräsidenten.
Kurz erklärte, er habe sich immer auf den Ruhestand gefreut, auch wenn er nicht damit gerechnet habe, bereits mit 59 Jahren in Pension zu gehen. Auf Thann machte Kurz einen sehr hinfälligen Eindruck. Noch nie war ihm sein ehemaliger Chef so alt erschienen. Während dieser davon sprach, demnächst Weltreisen unternehmen zu wollen, zweifelte Thann, dass dieser weißhaarige Mann mit der leisen Stimme jemals die Kraft dafür würde aufbieten können. Die Wochen des Krankenhausaufenthalts hatten seine einst rosigen Wangen einfallen lassen. Man hatte ihn auf Diät gesetzt, um sein Übergewicht abzubauen. Nur ein kleiner Kugelbauch war geblieben.
Frau Kurz hatte Abendessen vorbereitet. Ihr Mann aß nur wenig. Er sprach von den Dschungeln Brasiliens und von den Gewürzinseln Indonesiens. Jetzt hätte er endlich die Zeit, seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Keiner wagte es, sein Fernweh zu bremsen.
Nach dem Essen tat Hans-Werner Kurz sein Bedauern kund, dass die Ärzte ihm das Rauchen verboten hatten. Während seine Frau den Tisch abräumte, führte er Eva und Thann ins Wohnzimmer.
Endlich kamen sie zur Sache.
Tatsächlich. Kurz hatte gezahlt. Der Fotograf hatte ihm einen der Fotoabzüge aus seiner Sammlung geschickt und mit einem Skandal gedroht. Der Polizeipräsident war eingeschüchtert gewesen. Kurz hatte nicht einmal seiner Frau davon erzählt. Es hatte ihm viel Mühe bereitet, die ständigen Zahlungen vor ihr zu verbergen. Kurz deutete an, dass damals sein Herz zum ersten Mal begann, verrückt zu spielen. Als seine Krankheit in den letzten Wochen schlimmer geworden war, habe er beschlossen, das Amt aufzugeben und die Zahlungen einzustellen. Zu einer Anzeige gegen Korfmacher sei er bereit, wenn auch Eva einverstanden wäre.
Thann setzte die Aussage auf, die Kurz unterschrieb. Thann atmete auf. Mit diesem Papier in der Hand würde es morgen für sie einfach sein, Korfmacher endgültig hinter Gitter zu bekommen. Dann musste er auspacken. Thann war dem Ziel näher gekommen.
Er lenkte die Unterhaltung auf Bollmann. Sofort ergriff Kurz die Gelegenheit, einem Hass auf seinen Nachfolger Luft zu verschaffen, der jahrzehntelang in ihm genagt haben musste.
Bollmann war vor mehr als dreißig Jahren sein Rivale um Annas Gunst gewesen, schon bald nach der Hochzeit. Kurz hatte immer vermutet, dass Udo Bollmanns Sohn war. Dennoch kämpfte er weiter um Anna, die sich weigerte, sich für einen von beiden zu entscheiden. Mal verließ Kurz die gemeinsame Wohnung, dann zog er wieder ein. Erst als er erfuhr, dass Anna auch mit weiteren Männern Affären hatte, reichte er die Scheidung ein. Kurz vermutete, dass Annas Beziehung zu Bollmann kaum länger gehalten hatte.
Drei Jahre später wurde Anna ermordet. Bollmann bekam den Fall übertragen. Dass dieser dann alles daran setzte, Annas Mörder rasch zu überführen, wertete Kurz als eiskalten Versuch, Punkte zu sammeln im Wettlauf der Rivalen auf der Karrieretreppe. Er glaubte nicht, dass Bollmann von anderen Gefühlen getrieben war als von Ehrgeiz. Die Beziehung der beiden Kollegen hatte einen neuen Tiefpunkt erreicht.
»Bollmann ist so kalt wie seine Augen. Wenn er sich freundlich gibt, dann nur aus Berechnung. Alles, was für ihn zählt, ist Macht. Er hat jede meiner Schwächen ausgenutzt. Er hat intrigiert und seine Gefolgsleute um sich geschart. Man könnte denken, da steckt noch etwas anderes dahinter. Aber nein! Er ist einfach machtversessen.«
Den Karrierewettlauf hatte zunächst Kurz gewonnen, als der Ältere, Erfahrenere. Doch Bollmann entwickelte sich zum Machtfaktor innerhalb des Präsidiums. Und seine Arbeit gefiel dem Innenminister. Bollmann war politisch aktiv. Bollmann hatte Erfolg. Er wurde das beste Pferd im Stall des Polizeipräsidenten Kurz. Sogar die guten Beziehungen, die Bollmann in seiner Zeit als Chef der Sitte zu Teilen der Unterwelt knüpfte, konnte Kurz nicht verurteilen. Der Innenminister lobte den neuen Stil der Verbrechensbekämpfung. Bollmann bot keine Blöße.
Jetzt hatte Kurz
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