Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben
ein!«
Fortsetzung Fatima.
»
Deine
Wand?«, entgegnete Zehrunisa gereizt. »Diese Wand haben
wir
hochgezogen, und wir haben dir dafür keinen Paisa abgenommen. Da dürfen wir ja wohl ab und zu mal einen Nagel einschlagen, oder? Hab Geduld. Und falls irgendwas bei dir kaputtgeht, reparieren wir’s, sowie meine Arbeitsplatte fertig ist.«
Fatima gab Ruhe, bis auf ihrer Seite Ziegelbrocken aus der Wand rieselten. »Ich hab hier lauter Schutt im Reis!«, schrie sie. »Mein ganzes Abendessen ist hin! Hier ist alles voll Sand!«
Abdul war entsetzt. Sein Verdacht, dass diese Ziegel womöglich sofort zerbröselten, hatte sich bestätigt. Sie waren zu sandhaltig, und der Mörtel dazwischen hielt auch nicht mehr. Scheißziegel, die nicht mal richtig aneinanderklebten – das Ganze war mehr ein schwankender Turmbau als eine Wand. Während er noch grübelte, wie er hier je eine steinerne Platte anbringen sollte, ohne dass das ganze Haus zusammenfiel, ging Zehrunisa vor die Tür. Das tat auch Fatima, und draußen gerieten die beiden Frauen sofort aneinander. Ein paar Nachbarinnen kamen aus ihren Hütten und sahen dem Handgemenge zu, Kinder debattierten, welche der beiden Frauen eher aussah wie der Große Khali, ein indischer Catcher von den World-Wrestling-Shows.
»Wenn du nicht sofort aufhörst, mein Haus zu zerkloppen, du Mutterficker, dann reit ich dich voll in die Scheiße«, schrie Fatima.
»Wenn hier was zerkloppt wird, dann meine Wand, du Hure«, schrie Zehrunisa zurück. »Wenn wir gewartet hätten, bis du ’ne Wand ziehst, müssten wir uns heute noch alle nackt sehen!«
Abdul lief nach draußen und drängte die beiden Frauen auseinander. Dann packte er seine Mutter am Hals und zog sie in die Hütte.
»Du hast Kinder!«, schrie er sie an. »Du bist kein bisschen besser als Einbein!
Vor allen Leuten draußen aufeinander losgehen!« Solche Szenen verstießen gegen sein Erstes Annawadisches Gebot: Du sollst nicht auffallen.
»Aber die hat mich zuerst angepöbelt«, protestierte Zehrunisa.
»Die Frau pöbelt ihren eigenen Mann an«, sagte Abdul. »Als ob die sich scheut, dir Pöbeleien an den Kopf zu werfen. Aber du musst ja nicht zurückpöbeln. Die hat doch ’n Knacks in der – die ist beknackt, das weißt du doch.«
Fatima fluchte noch, als sie über den Maidan ging und Annawadi verließ. Abdul hörte ein paar Frauen hinter ihr herlachen, aber Sachen, über die Frauen lachten, interessierten ihn nicht. Er registrierte nur, dass Fatimas Abwesenheit seine Chance war, endlich in Ruhe diese Platte einzubauen. Allerdings war soeben der angeheuerte Nachbar zusammengeklappt und mitsamt der Platte zu Boden gegangen.
»Du bist ja wirklich besoffen!«, schimpfte Abdul. Der Mann lag eingequetscht unter der massiven Steinplatte. Er stritt es nicht ab. Er hatte TBC im fortgeschrittenen Stadium und erklärte: »In letzter Zeit hab ich nicht mal mehr Kraft, irgendwas zu heben, wenn ich nichts getrunken hab.«
Beim Anblick der neuen Schäden an der Wand wäre Abdul am liebsten in Tränen ausgebrochen. Zum Glück war die Steinplatte wenigstens noch ganz, und auch der Nachbar war anscheinend schlagartig wieder nüchtern. Er versprach Abdul, dass sie zusammen alles in einer Stunde schaffen würden. Abdul tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine Mutter, wenn sie erst mal schöner wohnte, sich vielleicht auch eine freundlichere Sprache angewöhnen würde.
Aber dann kam eine Nachbarin angelaufen und berichtete von einem sensationellen Ereignis. Fatima, die sonst kaum eine Rupie übrig hatte, sei in einer Autorikscha weggefahren.
Eine Viertelstunde später der nächste Bericht: Fatima sei in der Polizeiwache Sahar und zeige Zehrunisa wegen gefährlicher Körperverletzung an.
»Allah«, sagte Zehrunisa, »seit wann lügt die denn dermaßen?«
»Los, geh zur Polizei«, riet Kehkashan, »wenn du nicht ganz schnell auch da auftauchst, halten die sich nur an ihre Version.«
Karam kam zurück, als seine Frau gerade losgehen wollte. Die Fliesen waren teurer, als er gedacht hatte, er hatte zweihundert Rupien zu wenig dabeigehabt. »Dann beeil dich gefälligst«, sagte sie, »nimm dir mehr Geld und kauf sie endlich. Wenn die Polizei hier aufkreuzt und unsere ganzen Sachen draußen stehen sieht, schmeißen die uns raus.« Die kleineren Husain-Söhne hatten sich schon die ersten Habseligkeiten geschnappt und schleppten sie in Abduls Lagerverschlag.
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, sagte sie dann zu Abdul. »Mach einfach
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