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Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Titel: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Boo
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weiter, bring die Arbeit zu Ende.«
    Als Zehrunisa nach einem knappen Kilometer Dauerlauf atemlos bei der Polizei ankam, saß Fatima vor einem Schreibtisch und erzählte einer Polizeibeamtin namens Kulkarni ihre Geschichte.
    »Das ist die, die hat mich geschlagen, und Sie sehen ja, ich bin ein Krüppel, ich hab nur ein Bein«, erklärte Fatima.
    »Ich hab sie nicht geschlagen!«, widersprach Zehrunisa. »Da waren ganz viele Leute draußen, die haben alle zugeguckt, und keiner würde so was behaupten. Sie hat angefangen und ist auf mich losgegangen.«
    »Die haben meine Wand kaputtgemacht! Hab lauter Sand im Reis!«
    »Sie hat gedroht, sie reitet uns in die Scheiße! Dabei machen wir einfach nur unsere Arbeit und kümmern uns um unsern eigenen Kram –«
    Fatima weinte, also machte auch Zehrunisa die Schleusen auf.
    Die Polizistin hob abwehrend die Hände. »Seid ihr Frauen eigentlich irre, uns mit so was zu behelligen? Glaubt ihr, die Polizei hat nichts Besseres zu tun, als euer Gezanke über Lappalien anzuhören? Wir sind zum Schutz des Flughafens da. Geh nach Hause und koch dein Essen zu Ende und kümmer dich um deine Kinder«, sagte sie zu Fatima. Und zu Zehrunisa: »Und du setzt dich da drüben hin.«
    Zehrunisa sank in einen der Schalensitze und ließ den Kopf hängen. Ihre Tränen waren jetzt echt. Fatima hatte sie in die Scheiße geritten, wie angedroht. Und Fatima war bald wieder in Annawadi und erzählte bestimmt allen Leuten, dass die Polizei sie, Zehrunisa, festgenommen hatte wie eine gewöhnliche Kriminelle.
    Als sie nach dem Weinkrampf wieder zu sich kam, saß Asha in der Schale neben ihr.
    Asha hatte ein paar Polizisten der Wache zu einer Sozialbauwohnung verholfen, von der aus sie ihre Nebengeschäfte tätigen konnten – mit diesem Maklerdienst hoffte sie, richtig Geld zu verdienen. Einen Streit zwischen zwei Muslimas zu schlichten versprach zwar nur mageren Profit. Aber wenn sie sich nicht auch der kleinen Querelen in Annawadi annahm, würden die Leute damit zu dieser Frau von der Kongresspartei gehen, die bei allen nur »der weiße Sari« hieß, und das würde Bezirksrat Subhash Sawant zu Ohren kommen.
    Asha sah Zehrunisa in die Augen. Für tausend Rupien, sagte sie, würde sie Fatima überreden, keinen Ärger mehr zu machen. Das Geld sei nicht für sie selbst. Sie wolle es Fatima geben – zumindest einen Teil.
    So offen war Asha in Geldsachen nicht immer, aber sie hatte das Gefühl, Zehrunisa und ihrer Familie beistehen zu müssen. Mirchi war schon mal von der Polizei erwischt worden, als er Diebesgut angekauft hatte, und damals hatte Zehrunisa Asha sogar um Hilfe angefleht. Asha hatte die Polizisten bearbeitet, Mirchi sei doch noch ein Kind und nicht gesund – was tatsächlich stimmte, Mirchi hatte sechs heftig entzündete Rattenbisse am Hintern gehabt. Asha hatte Mirchi nach Hause gebracht, und Zehrunisa hatte sich bei ihr
bedankt,
als wüsste sie nicht genau, dass Asha längst ihre Geschäfte mit der Hilfe machte.
    Aber Zehrunisa misstraute Asha nicht weniger, als Asha ihr misstraute. Asha war von der Shiv Sena, sie war muslimfeindlich wie auch viele Polizisten in dieser Wache.
    »Wir werden das mit Fatimas Mann regeln«, sagte sie zu Asha und beendete damit das Gespräch. »Danke, aber alles wird gut.«
    Eine Stunde später glaubte sie das beinahe selbst, denn Officer Kulkarni bot ihr zur Tasse Tee auch einen Rat an: »Du musst aus Einbein die Scheiße mal richtig rausprügeln und der Sache ein für alle Mal eine Ende setzen.«
    »Wie denn, ich kann doch keinen Krüppel verprügeln?«
    »Wenn man solche Leute nicht mal richtig verprügelt, hat man die immer wieder am Hals. Verdrisch die mal ordentlich, und wenn die sich beschwert, dann regele ich das. Keine Bange.«
    Zehrunisa überlegte, ob hinter der Freundlichkeit dieser Polizistin eine Geldforderung steckte. Ihr Kollege Thokale war nicht so subtil. Er kam regelmäßig und verlangte Schmiergeld, da Leute, die illegal auf Flughafengebiet wohnten, ja offiziell kein Gewerbe treiben durften. »Ihr steht seit Monaten bei mir in der Kreide«, sagte er, als er sie dasitzen sah. »Hattest du dich etwa versteckt? Na, jetzt bist du ja hier, da können wir das Konto gleich mal ausgleichen.«
    Zehrunisa hatte mehr Geld als Fatima. Dass es bei ihr etwas zu holen gab, erklärte vermutlich, warum sie und nicht Fatima noch immer hier auf der Wache saß. Diesen Thokale würde sie wohl schmieren müssen, er würde ihnen sonst den Laden dichtmachen.

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