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Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Titel: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Boo
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es so wie Fatima«, sagte Meena. »Einfach aus allem fliehen, wenn man weiß, dass nur noch Elend kommt. Aber ich würd’s mit Gift machen, nicht mit Feuer. Wenn man sich verbrennt, bleibt man bei den Leuten nur noch als was Gruseliges mit verschrumpelter Haut in Erinnerung.«
    »Hör doch mal auf, an so was zu denken« mahnte Manju. »Als du Fatima da liegen sehen hast, war dir ’ne Woche lang übel. Das wird’s dir auch wieder, wenn du dir solche Gedanken nicht aus dem Kopf schlägst, so wie ich.«
    Sie sprachen im Flüsterton und sahen sich trotzdem immer wieder um, als wollten sie sich vergewissern, dass Einbein nicht irgendwo herumspukte. Ihre Verwünschungen schwirrten noch immer durch ganz Annawadi und richteten in etlichen Hütten Chaos an, und ihr Geist hauste angeblich genau hier in der öffentlichen Toilette. Alle Slumbewohner erinnerten sich gut, wie sie immer hingewackelt war,
tink-tink-tink,
aufgebrezelt und mit dick bemalten Lippen. Viele fanden es sicherer, im Freien zu scheißen.
    Meena war abergläubisch, und zwar unbeirrbar. Neulich hatte ihre Mutter erzählt, sie habe eine Schlange über eine Monatsbinde gleiten sehen, die Meena nicht richtig entsorgt hatte. Die Mutter war außer sich gewesen – das sei ein Vorzeichen, Meena würde der Unterleib verdorren.
    Manju hatte den Verdacht, dass Meenas Mutter gar keine Schlange gesehen hatte, sondern nur immer erfinderischer wurde bei ihren Versuchen, Meena die richtige Gefügigkeit vor der Hochzeit beizubringen. Meena dagegen war in heller Panik. »Ich werde vertrocknen und sterben«, weinte sie eines Abends. Verheiratete Frauen ohne Kinder waren ja schon in Mumbai irgendwie verdächtig. Aber unfruchtbar auf dem Dorf?
    Meena fühlte sich langsam unbehaglich bei der Toilette, dieser Schlangenfluch und Fatimas Geist und beides auf einmal, das war doch beängstigend riskant. Trotzdem blieb sie da, sie konnte gar nicht anders. Der Freiheit so nah wie in den paar Abendminuten mit Manju mitten im Gestank war sie nie.
     
    Am Tag vor Ashas großer Navratri-Show wurde der Maidan einer rasanten Verschönerung unterzogen. Abdul wurde samt seinen Müllstapeln verbannt, und Frauen fegten wie wild den ganzen Platz. Ein Junge flitzte den Fahnenmast hoch und befestigte oben die Lichterketten, andere kletterten auf Hüttendächer und hängten die anderen Enden an die Wellblechtraufen. An diesem Abend sollten Manju und Asha aus einer Nachbarsiedlung die Durga-Figur abholen, ihre Ankunft markierte den Abschluss der Festvorbereitungen. Manju kam am frühen Nachmittag aus dem College, lief über den Maidan und grübelte, wie sie eigentlich ihre Brückenschule und die Hausarbeit erledigen und irgendeine Kurzfassung für Englisch auswendig lernen sollte, wenn dann noch mindestens eine Stunde mit Göttin-Abholen draufging.
    »Bin kurz vorm Abendessen wieder da!«, rief sie zurück, als Meena ihr von der Tür ihrer Hütte aus zuwinkte. Manju wollte sich lieber nicht ausgerechnet heute mit unerledigter Wäsche erwischen lassen, die Tanzerlaubnis konnte schließlich auch entzogen werden.
    Vier Stunden später, die Wäsche war aufgehängt, die Schüler hatten die letzte Runde
Head and shoulders, knees and toes
gespielt, ging Manju hinüber zu ihrer Freundin. Meena saß auf der Türschwelle und sah hinaus auf den geleckten Maidan. Merkwürdig. Eigentlich durfte sie da nicht sitzen – ihre Eltern behaupteten, davon bekomme ein Mädchen einen lockeren Ruf.
    Manju setzte sich neben sie. Am späten Nachmittag machten viele Mädchen und Frauen in Annawadi eine kleine Pause von der Hausarbeit, bevor sie das Abendessen vorbereiten mussten. Als kleine Mädchen hatten Meena und Manju in ihrer kurzen Freizeit vor der Hütte Hinkelkasten gespielt, aber Mädchen im heiratsfähigen Alter durften nicht mehr herumhüpfen. Meena sah fahl aus und war nicht so zappelig wie sonst, aber sie fastete ja auch, wie vor jedem Navratri-Fest, zum Wohlgefallen der Göttin Durga.
    Ab und zu beugte sie sich vor und spuckte in den Staub.
    »Wird dir wieder übel?«, fragte Manju nach einer Weile.
    Meena schüttelte den Kopf und spuckte noch einmal.
    »Was denn dann?«, fragte Manju etwas leiser, plötzlich argwöhnisch. »Kaust du Tabak?« Obwohl ihre Mutter gleich hinter ihr in der Hütte war?
    »Ich spuck bloß so«, sagte Meena achselzuckend.
    Leicht gekränkt, dass Meena nichts Unterhaltsameres zu bieten hatte, stand Manju auf und wollte wieder an die Arbeit.
    »Hier«, sagte Meena und streckte ihr

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