Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
entgegenströmte.
Zuletzt schrieb die Mutter von dem wenigen Neuen, das sie aus dem Ort wußte.
„Und Eldrid auf Brät möchte in die Stadt, um die Handelsschule zu besuchen. Sie weiß ja, wie du es in diesen Jahren gemacht hast. Da hatte sie die Idee, ob Du ihr vielleicht zu einem Zimmer verhelfen könntest. Sie will genau wie Du etwas Hausarbeit dafür machen. Lohn braucht sie nicht, denn ihr Vater kann ihr ja Geld schicken. Es ist eben nur die Schwierigkeit mit dem Wohnen!“ Anne redete mit Großmama.
„Hm“, sagte Großmama, „wie ist diese Eldrid?“
„Ein frisches Mädchen“, versicherte Anne. „Tüchtig im Haushalt und nett. Ich kenne sie gut, wir sind zusammen in die Schule gegangen.“
„Du könntest sie also empfehlen?“
„Ja Großmama, das könnte ich.“
„Aber sag mal“, Großmama warf ihr einen schelmischen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Würdest du ihr empfehlen, zu mir zu kommen?“ Anne lächelte.
„Aber gewiß, Großmama. Das würde ich tun. Nur wäre es vielleicht ganz gut, sie sanft vorzubereiten! Du bist ja ‘n bißchen anders als die meisten andern Leute, Großmama.“
„Du meinst, ich bin nicht ganz so korrekt und formell wie andere?“
„Ganz recht. Und dann bist du - nein, das getraue ich mich nicht zu sagen; aber was sagen deine Verwandten von dir?“
„Daß ich ein Trotzkopf bin. Das weiß ich. Gut Anne, dann schreib an die Eldrid und bereite sie auf alles Mögliche vor. Wir versuchen es eben. Und dann muß ich wohl dreinwilligen und meinen vermaledeiten jungen Leuten nachgeben, die mich im Sommer mit aufs Land nehmen wollen. Damit wäre ja alles in schönster Ordnung, denn Eldrid muß ja wohl Ende August oder so in die Stadt kommen.“
„Die vermaledeiten jungen Leute“ - die Großmama heiß und innig liebte - waren Lores Eltern.
Anne schrieb an Eldrid, und die Angelegenheit wurde geregelt.
Es war auch für Anne eine Erleichterung. Denn sie hatte Großmama fest in ihr Herz geschlossen und fand den Gedanken abscheulich, sie wieder sich selbst überlassen zu müssen, mit irgendeiner Vormittagshilfe.
Die Angehörigen waren begeistert. Vor allem Sohn und Schwiegertochter, aber auch die Neffen und Nichten, die hin und wieder einmal hereinschauten. Es waren meist jüngere Menschen, die zu Großmama kamen.
„Mein eigener Jahrgang stirbt dahin“, sagte sie immer. „Aber die Jungen halten treu zu mir. Kannst du verstehen, daß sie sich was daraus machen, so ‘ne närrische Alte zu besuchen, wie ich eine bin, und immer Heg ich hier in meiner ewigen Ecke?“
„Gott behüte, wie du fischen kannst, Großmama“, lachte Anne.
Annes gebrochene Rippe heilte schnell. Bald hatte sie keinerlei Beschwerden mehr. Nach den Osterferien kam sie mit einer roten Narbe auf der Stirn in die Schule. Die Klassenkameraden sahen sie scheu und stumm an. Sie wußten, was sie durchgemacht hatte, und einige kamen zu ihr und drückten ihr die Hand.
Nun begann der krampfhafte Endspurt für das Examen.
Anne arbeitete systematisch und intensiv, ohne Nervosität. Sie hatte Ruhe zur Arbeit, wirkliche Ruhe, zum ersten Mal seit sie dies Budenleben angefangen hatte.
Sie hatte soviel Geld von ihren Einkünften aus dem Schuhgeschäft gespart, daß sie die Examensgebühr entrichten konnte. Diese war nicht in der Freistelle einbegriffen. Als die Gebühr bezahlt war, hatte sie allerdings nicht mehr viel übrig, aber jetzt wollte sie nicht an Geld denken. Es würde sich schon alles regeln lassen. Wenn sie nur erst ihr Examen hatte, dann - Britts kostbarer Pelz hatte freilich beträchtlichen Wert. Aber sie wollte ihn nicht verkaufen. Nicht darum hatte Herr Sander ihn ihr geschenkt. Die kleine Anne Schulmädchen mit der Baskenmütze und den gestrickten Fausthandschuhen und gestopften Strümpfen konnte freilich einen Nutriapelz nicht gebrauchen; das war nun einmal so. Aber Frau Jess Daell konnte es eher. Und der Pelz hing in einem mottensicheren Überzug in Großmamas Schrank und wartete auf die Stunde, da er Frau Anne Daell zieren und wärmen sollte.
Anne erhielt einen Brief.
Sie drehte und wendete ihn hin und her, ehe sie ihn öffnete. Die Adresse war mit Schreibmaschine geschrieben. Der Absender war eine bekannte Autofirma.
Sie hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, und machte den Umschlag endlich auf. Außer einem kurzen Brief lagen ein langes, schmales, hellgrünes Papier und ein kleiner versiegelter Briefumschlag darin. Dann las sie:
„Im Auftrage von Herrn Reedereibesitzer
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