Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
Sander gestatten wir uns, Ihnen einen Scheck über Kr. zweitausenddreihundert zu überreichen. Herr Sander hat uns beauftragt, den Wagen seiner verstorbenen Tochter zu verkaufen. Obwohl das Auto durch den Unfall stark beschädigt war, gelang es uns, die oben genannte Summe dafür zu erzielen. Ehe Herr Sander seine Reise ins Ausland antrat, hinterließ er uns einen Brief, der Ihnen zugleich mit dem Erlös aus dem Verkauf des Autos zugehen sollte.
Der Brief ist beigefügt.
Hochachtungsvoll.“
Anne blieb sitzen, völlig sprachlos. Sie starrte auf den sachlichen maschinegeschriebenen Brief, auf den Scheck mit der märchenhaften Summe - und auf das kleine versiegelte Briefkuvert.
Dann erbrach sie auch dies.
Eine kleine Karte lag drin.
„Liebe Anne! Sie verstehen sicherlich, daß ich dies Geld nicht haben will. Seien Sie so nett und nehmen Sie es als Geschenk von Britt an. Sie hat Sie sehr gern gehabt. Danken Sie mir nicht dafür. Es ist nicht von mir, sondern von Britt. Ich fahre ins Ausland und werde fürs erste nicht zu erreichen sein. Ich danke Ihnen für alles.
Ihr Wilhelm Sander.“
Ihr liefen die Tränen über das Gesicht.
So war es zuguterletzt doch Britt, die ihr helfen sollte. Britt, die ihr eine Studienanleihe angeboten hatte. Die kleine Britt, die jetzt unter einem weißen Marmorstein ruhte.
Kleine Britt.
Anne ging zu Großmama hinein. Wortlos reichte sie ihr den Brief, den Scheck und Herrn Sanders Karte.
Großmama las alles und wischte sich die Augen. „Liebe kleine Anne.“, sagte sie und ergriff ihre Hand, „wie gut begreife ich Herrn Sander. Ja Anne, dies Geld kannst du ohne Gewissensbisse annehmen. Und denk nur, was es für dich bedeutet!“
„Ja“, sagte Anne, „es bedeutet furchtbar viel für mich. Aber -aber.“, dann senkte sie den Kopf und brach in Tränen aus.
Großmama strich ihr übers Haar. Großmama verstand sie. Jetzt wie immer.
Am nächsten Tage hob Anne das Geld ab. Zweitausend Kronen zahlte sie auf ein Bankkonto ein. Dann ging sie in ein Blumengeschäft und kaufte eine Flut roter Rosen. Nach dem Preis fragte sie nicht. Sie legte einen Hundertkronenschein hin und zählte das Geld nicht nach, das sie herausbekam.
Die Verkäuferin blieb stehen und sah dem blassen jungen Mädchen in dem abgetragenen Mantel nach. Sie schüttelte den Kopf. Was es mit dieser Kundin für eine Bewandtnis hatte, konnte sie sich nicht zusammenreimen.
Die roten Rosen flammten und glühten vor dem weißen Marmor und verdeckten teilweise die Inschrift. Nur die goldenen Buchstaben des Namens BRITT waren zu sehen.
Anne stand am Grab und hatte die Hände in den Manteltaschen fest geballt. „Danke, Britt“, flüsterte sie.
Die Tage flogen dahin, Anne lernte und versah zu Haus bei Großmama ihre Arbeit. Nur den Freitagsjob im Schuhgeschäft hatte sie aufgegeben.
Dann kam die Examenszeit.
Ruhig ging Anne an ihre Aufgaben, ruhig und ausgeglichen, ausgeruht und gut aufgelegt. Großmama paßte auf wie ein Schießhund, daß sie in dieser Zeit genügend Schlaf bekam. Sie überzeugte sich mit eigenen Augen davon, daß Anne tagtäglich ein Ei aß und zwei große Glas Milch trank. „Ich ruiniere dich, Großmama“, sagte Anne. „Schweig still und iß“, war Großmamas ständige Antwort.
Das schriftliche Examen war vorüber, der mündliche Teil folgte. Ohne Angst, ohne Lampenfieber.
Dann kam das Ergebnis. Anne war unter den dreien, die in der Zeitung namentlich aufgeführt wurden.
Eine von den dreien, die ein „Ausgezeichnet“ im Hauptzeugnis erhalten hatten.
Sie ging zum Postamt und gab zwei Telegramme auf. Das Telegramm nach Möwenfjord wurde teuer, denn in dem Preis war das Motorboot für den Telegrafenboten einbegriffen.
Aber sie konnte es sich leisten.
Ehe sie nach Kopenhagen fuhr, schickte sie ein riesiges Paket nach Möwenfjord. Jetzt kaufte sie alles ein, was sie der Mutter und den Geschwistern aus der Stadt schicken zu können in diesen Jahren sich gewünscht hatte. Mutter bekam wollene Unterwäsche, leicht und fein wie Spinngewebe und herrlich warm. Sie bekam pelzgefütterte Hausschuhe und einen erstklassigen Kleiderstoff. Die andern wurden ebenfalls reichlich bedacht.
Als Anne dann ihre Fahrkarte und die Devisen geholt, sich selbst ein Kostüm, einen Hut, einen Badeanzug und zwei Sommerkleider gekauft hatte - da war ihr Bankkonto beträchtlich zusammengeschmolzen. Aber das machte nichts. Sie wußte: jetzt konnte sie jederzeit eine gute Anstellung finden. Von jetzt ab war sie in der
Weitere Kostenlose Bücher