Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
einläuteten.
Anne saß kerzengerade da, mit erhobenem Kopf. Ihre Gedanken waren bei Jess. Aber sie machten auch einen Abstecher zu Großmama und Lore - zu Fräulein Tvilde und dem kleinen Pettie - zu allen denen, die es gut mit ihr gemeint und ihr geholfen hatten, das Ziel zu erreichen, das sie sich gesteckt hatte.
Mutter Kristina betrachtete das junge, ausdrucksvolle Gesicht. Sie sah, wie die Augen dunkler wurden, und sie sah die feinen Nasenflügel beben. Mutter Kristina nickte unmerklich. Jetzt waren Annes Gedanken sicher bei Britt.
Liv stand auf und zündete die Weihnachtskerzen an.
Anne starrte in die kleinen Flammen. Jetzt fühlte sie Jess’ Gedanken ganz lebendig und nahe.
Sie wußte es selbst nicht, daß sie die Hände gefaltet hatte. Wußte nicht, daß ihr ganzes Ich, alles das, was Anne Viken war, sich zu einem großen demütigen Dank sammelte.
Der Weg ins Glück
Die Sonne stieg von Tag zu Tag höher. Der Wasserfall schwoll an und toste über den Fjällhang. Kleine weiße Lämmer wurden aus dem Stall gelassen und blieben vor der großen, hellen Weite stehen, fragend und unsicher dreinschauend.
In der Wiege schlief das jüngste Kind - Livs und Tores Tochter.
Anne summte und trällerte. Sie war von Freude erfüllt, der Lenz machte sie ganz übermütig.
Tore wurde bald zurückerwartet. Aus Kopenhagen kam Post und berichtete von einer Zweizimmerwohnung und guten Kritiken und Honoraren und einem Bankbuch, das für Möbel und Aussteuer gedacht war.
Dann schüttete der April seine Regengüsse über Möwenfjord aus. Anne kam vom Stall herein mit Regentropfen in Haaren und Augenbrauen, und sie lachte durch den Regen.
Und wieder schien die Sonne, sie schien auf knospendes junges Laub und auf kleine grüne Ackerflächen. Tore arbeitete auf dem Acker, mit all den Kenntnissen, die er sich in der Schule erworben hatte, und mit liebevollen Händen. Möwenfjord sollte ein Hof werden, der sich sehen lassen konnte!
Der alte Maunz begriff nichts an diesem sonnenblanken Maientag.
Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, dann würde er jetzt auf der Bank in der Wohnstube liegen, gerade da, wo die Sonne hinschien. Dort war jahraus jahrein jeden Vormittag sein Platz gewesen! Aber durfte er das jetzt etwa? Nein! Er war kurzerhand vor die Tür gesetzt worden, auf den Treppenstein hinaus - nun ja, Futter und Milch hatte man ihm hinausgestellt, das war es gar nicht - aber Maunz war ein konservativer Kater und liebte es nicht, daß an seinen Gewohnheiten gerüttelt wurde. Und es war nicht das gleiche, ob man draußen auf den Fliesen vorm Hauseingang lag oder auf der Bank in der Stube, nein!
Wie still es überall war. Kein Schritt im Haus. Auch im Stall rührte sich niemand. Nur das ferne, zarte Klingeln vom Schellenschaf oben im Fjäll klang herüber.
Maunz hüpfte auf das Gesims vor dem Wohnstubenfenster und lugte hinein. Hatte man so was schon gesehen, was sollte das bedeuten? Weißes Tischtuch und das beste Geschirr auf dem Tisch, und trotzdem sagte ihm sein Instinkt, daß heute keineswegs Sonntag war.
Er warf noch einen prüfenden Blick in die Stube. Sie war mit grünem Laub geschmückt, mit weißen Anemonen und Ranunkeln, und der Tisch war so groß, viel größer als sonst.
Maunz zwinkerte mit den klugen alten Augen. Das sollte nun einer verstehen!
Dann sprang er vom Fenstersims herunter, überlegte einen Augenblick, zuckelte bedächtig bis zur Scheune und huschte durch das Katzenloch in der Mauer. Wenn die Stube abgesperrt war, dann mußte man zu dem traulichen Winkel im Heu seine Zuflucht nehmen, den man sonst immer nur nächtlicherweile aufsuchte.
Die Leute stauten sich an der Kirche. Es gab nicht einen im Dorf, für den heute kein Festtag war. Die Jugend hatte den ganzen letzten Tag gearbeitet, um eine Ehrenpforte zu errichten und alles mit jungem Birkenlaub auszuschmücken.
Man erzählte sich so allerlei. Wie glänzend die Anne das Examen bestanden hatte. Daß die Anne im Ausland gewesen und in der Zeitung abgebildet worden war - einer großen dänischen Zeitung, dick wie ein Buch, dick wie ein ganzer Jahrgang vom Fjordboten. O ja, ein Bild von Anne, wie sie Jess mit den Armen umschlang.
Aber Anne war den ganzen Winter zu Haus gewesen, und da hatte sie tüchtig zupacken müssen. Es war nicht so einfach, wenn keine Mannsleute auf dem Hofe waren.
Aber jetzt waren sie besser dran auf Möwenfjord, denn jetzt waren Tore und auch Magnus daheim. Und Leute, die mit dem Boot vorbeigekommen waren, konnten
Weitere Kostenlose Bücher