Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
Du Wuchergeschäfte betreibst - schön brav an Maestro Martiani abzuführen und nicht etwa für Sektgelage mit den reizenden Französinnen auszugeben.
Annes persönlicher guter Engel mußte ihr die Feder geführt haben, als sie schrieb. Denn in seinem Dankesbrief war Jess nur erfreut und beglückt und gerührt und erhob keinen Einspruch dagegen, die Summe anzunehmen.
Armer Junge - dann hat er das Geld bitter nötig gehabt, mußte Anne denken und fuhr sich rasch einmal über die Augen.
Eva und Onkel Herluf erzählte sie zwar, daß sie Jess Geld geschickt habe. Aber sie sagte nichts über Raouls Besuch und nichts darüber, wie dringend erforderlich es war, daß Jess Hilfe erhielt.
Und dann zog in Kopenhagen der Frühling ein. Das Tivoli machte seine Pforten auf, und die Bäume in den Parks erhielten einen ersten, reinen, zartgrünen Schleier. Eben jetzt war es im Geschäft eine kurze Zeitlang still - es war, als ruhe die Stadt und halte den Atem an und sammele sich für die große Anstrengung, die ihr bevorstand: den Strom der Vergnügungsreisenden.
Zu Ostern war die Stadt von deutschen Touristen überschwemmt gewesen, jetzt waren es die Amerikaner, die kamen. Schon Anfang Mai schwärmten sie über die ganze Stadt aus, und Anne stand, groß und behäbig und wieder ziemlich müde, hinter ihrem Ladentisch und gab zum siebenhundertundachtundneunzigsten Mal ihre Auskünfte. „Nein, meine Dame, farbige Sachen führe ich nicht. - Die echten alten norwegischen Muster sind nur in schwarzbrauner und ungebleichter Wolle gestrickt worden, und ich halte daran fest. - Ja, gnädige Frau, aber dies Modell ist doppelt so teuer, es ist aus handgesponnener Wolle, und die ist ungefärbt - sie stammt von weißen Schafen und von schwarzen -. Doch, gnädige Frau, die ist in Norwegen gesponnen, hier.“
An der Wand hing eine Karte von Norwegen. Und ein rotes Kreuz zeigte die Stelle an, wo Möwenbucht lag. Von der Möwenbucht kam ständig und ohne Pause die handgesponnene Wolle. Die Frauen und Mädchen im Dorf fanden es ganz großartig, daß Anne einen eigenen Laden hatte, und das Bild von dem indischen Prinzen, der aus dem Laden „Norwegische Strickarbeiten“ heraustrat, machte auf allen Höfen in der Möwenbucht die Runde, bis kaum noch ein Fetzen davon übrig war. Und jede einzelne dachte, vielleicht wärme gerade ihre Wolle irgendeine „Hoheit“ oder „Ihre Gnaden“.
Anne hatte Jess noch einmal Geld geschickt. Und Jess war überglücklich gewesen. Sie las zwischen den Zeilen, daß er seinen Nachtkaffeejob aufgegeben hatte, denn er schrieb, dank Annes Hilfe könne er sich jetzt einmal ganz und gar für die Arbeit bei Martiani einsetzen. „Ich schufte tagsüber wie ein Kuli und schlafe nachts wie ein Stein“, schrieb ihr Jess - und damit fiel ein großer Stein von Annes Herzen.
Mitten zwischen Touristen und hektischer Arbeit wurde Anne von der Wohnungsbaugesellschaft angeläutet. Ob Frau Daell herauskommen und Tapeten aussuchen möchte? Gewiß, die Wohnung stehe in etwa vierzehn Tagen zum Einzug bereit.
„Wie ich das schaffen soll, ist mir ein Rätsel“, sagte Anne. „In vierzehn Tagen einziehen, in drei Wochen kommt Jess nach Hause, im Laden stehen die Amerikaner Schlange, ich besitze kein Bett und keinen Stuhl oder Tisch, den ich in die Wohnung hineinstellen könnte.“
„Hier muß jetzt was geschehen“, meinte Eva. „Übermorgen gehst du los und kaufst Möbel. Ich setze mich mit Tante Adethe in Verbindung und dann lass’ ich den Staub liegen, und die Bügelwäsche kann mir gestohlen bleiben -Tante Adethe und ich werden wohl mit gegenseitiger Unterstützung einmal Fausthandschuhe an deine Amerikaner verkaufen können!“
Anne saß am nächsten Vormittag zu einer kurzen kleinen Teepause bei Frau Askelund.
„Morgen schwänze ich“, erzählte sie. „Ich will losgehen und Möbel kaufen - glauben Sie, daß ich es schaffe, an einem Vormittag zwei Zimmer einzurichten?“
Frau Askelund schwieg einen Augenblick und streifte die Asche von ihrer Zigarette ab.
„Anne“, sagte sie - es war das erstemal, daß sie Anne bei ihrem Vornamen anredete und nicht Frau Daell sagte - „darf ich mich mal in etwas einmischen, das mich im Grunde nichts angeht?“
„Aber ich bitte Sie!“ lachte Anne.
„Hatten Sie - hatten Sie sich gedacht, Ihren Mann mit einer fix und fertigen Wohnung zu überraschen, wenn er nach Hause kommt?“
„Natürlich hatte ich das gedacht. Ich freue mich ja schon darauf wie ein kleines
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