Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
haben? Wo andere sich jahrelang anstrengen, da plumpst es mir wie eine reife Frucht in den Schoß.“
„Mein Kind“, sagte Eva. „Du vergißt, daß du dich jahrelang angestrengt hast: wenn ich an das magere und blasse Mädelchen denke, das vormittags ins Gymnasium ging und nachmittags Kinder wartete und Schulaufgaben machte und nachts strickte - dann finde ich, du hast dich wahrhaftig reichlich angestrengt!“
„Ja, aber, Eva - ich meine, daß mein Geschäft so gut geht! Daß ich Haufen von Kunden habe - und dann heute diese unglaubliche Reklame - eine Reklame, für die andere Firmen liebend gern Tausende ausgeben würden.“
Wieder sah Anne in die Zeitung, die sie in der Hand hielt.
Am Tage vorher war der Prinz Dayalshee in höchsteigener Person im Geschäft gewesen. Er hatte die bestellten Sachen abgeholt und für die Freunde, mit denen zusammen er in die Berge fahren wollte, gleichzeitig einige Paare Fausthandschuhe gekauft. Frau Askelund, die immer Geistesgegenwärtige, hatte ihren Fotografen auf die Straße hinuntergeschickt und eine Aufnahme von dem Prinzen machen lassen, wie er gerade aus dem Laden tritt.
Frau Askelund hatte gute Freunde bei der Tagespresse. Als sie einen von diesen fragte, ob er ein Bild vom Prinzen Dayalshee von Orissa haben wolle, wie er in Kopenhagens Geschäften Einkäufe machte, nahm der es mit Begeisterung und Dank an.
Und heute konnten die Zehntausende von Zeitungslesern sich das Bild des Prinzen ansehen, in einer Ladentür stehend, gerade unter einem Firmenschild, das klar und deutlich die Aufschrift „Norwegische Strickarbeiten“ trug.
„Siehst du“, sagte Eva langsam und sinnend, „die erste Voraussetzung dafür, daß das Geschäft gleich einschlug, war erfüllt: du kannst dein Handwerk! Du lieferst erstklassige Ware.“
„Ja“, sagte Anne. „Stricken kann ich, das gebe ich zu. Aber das habe ich ja keineswegs mir selber zu verdanken. Das habe ich mein ganzes Leben lang gekonnt, ich habe es ebenso selbstverständlich gelernt, wie ich Lesen lernte.“
„Das war also die erste Vorbedingung“, fuhr Eva unbeirrt fort.
„Dann ist da noch etwas, und das ist ebenso wichtig: du bist sanft und liebenswürdig. Frau Askelund mochte dich gleich gern und hatte Lust, dir zu helfen. Man hat eben einfach Lust, gütigen und netten Menschen zu helfen. Wie oft soll ich dir das sagen, daß Leute, denen du zulächelst, dich wieder anlächeln!“
„Und alle lächeln Anne zu!“ warf Onkel Herluf ein.
„Noch eins“, fuhr Eva unverdrossen fort. „Du hast Ordnung in deinen Angelegenheiten; was du versprichst, das hältst du, du behandelst sowohl deine Kunden als auch deine Arbeiterinnen anständig - stimmt es nicht?“
„Ich versuche es jedenfalls“, sagte Anne. Sie sann einen Augenblick nach, dann sagte sie langsam:
„Wenn das alles stimmt, Eva, dann ist es wahrhaftig nicht mein Verdienst. Daß man zuverlässig und anständig zu sein hat, das habe ich von meiner Mutter gelernt - Mutter ist der redlichste Mensch, den ich kenne. Und so bin ich erzogen. Also kann ich mich bei meinen Eltern dafür bedanken. Und dann das mit dem Lächeln. Weißt du, von wem ich das gelernt habe? Zuerst von Jess, und dann von euch. Erinnerst du dich noch, wie schweigsam ich in der ersten Zeit bei euch gewesen bin?“
„Ja, aber lächeln konntest du doch!“
„Aber nicht so wie jetzt. Fröhlich zu sein, reden zu können, lächeln zu können, nur weil keinerlei Grund dafür vorliegt, es zu unterlassen - das habe ich von euch gelernt! Siehst du, es ist dies Haus hier und dann mein eigenes Elternhaus in Möwenbucht, denen ich dies alles verdanke - oder beinahe alles!“
„Ihr vergeßt etwas Wesentliches“, sagte Onkel Herluf. „In den letzten Monaten hast du eine neue Sicherheit gewonnen, Anne - du bist erwachsener geworden, du bist - du bist - ich hätte beinahe gesagt, selbstbewußt geworden, ganz so meine ich es allerdings nicht; aber du hast auf alle Fälle eine gelassene Selbstsicherheit bekommen. Und weißt du, von wem du die bekommen hast?“ „Vielleicht weiß ich es, aber laß hören, was du meinst.“
„Ich meine, die rührt davon her, daß du ein Kind bekommst, Anne! Du bist im Begriff, die erste Pflicht der Frau zu erfüllen. Du bist im Begriff, deinen natürlichen Platz im Dasein zu finden. In deinem Unterbewußtsein liegt ein glücklicher Stolz, weil du das Deine zur Fortführung des Geschlechts beitragen wirst. Das ist es, was dir die Sicherheit verleiht, Kind - eine
Weitere Kostenlose Bücher