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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Marilla. Prissy Andrews wird ein Gedicht aufsagen - ein Gedicht mit einer Moral drin, so weit ich weiß. Du siehst also, ich kann dort sogar noch etwas lernen. Der Chor wird vier Lieder singen - vier ganz feierliche Lieder, fast wie Kirchenlieder. Selbst der Pfarrer wird da sein und die Begrüßungsrede halten, das ist genauso gut wie eine Predigt. Bitte, lass mich doch mitfahren, Marilla!«
    »Du hast doch gehört, was ich gesagt habe, nicht wahr? Zieh jetzt deine Stiefel aus und geh ins Bett. Es ist schon nach acht.«
    »Da ist noch etwas anderes, Marilla«, sagte Anne mit der Verzweiflung eines Kartenspielers, der seinen allerletzten Trumpf ausspielt. »Mrs Barry hat gesagt, dass Diana und ich im Gästezimmer von Orchard Slope schlafen können. Stell dir das mal vor: Was für eine Ehre für deine kleine Anne - in einem Gästebett zu schlafen!«
    »Du wirst leider auf diese Ehre verzichten müssen. Und jetzt ab ins Bett. Ich möchte kein Wort mehr davon hören.«
    Als Anne mit tränenüberströmtem Gesicht die Küche verlassen hatte, öffnete Matthew, der während der ganzen Unterhaltung scheinbar in tiefem Schlummer auf dem Sofa gelegen hatte, plötzlich die Augen und sagte mit fester Stimme: »Marilla, ich finde, du solltest Anne mitfahren lassen.«
    »Aber ich finde das nicht«, entgegnete Marilla. »Und wer erzieht dieses Kind, Matthew, du oder ich?«
    »Nun ja, du natürlich«, gab Matthew zu.
    »Dann misch dich gefälligst nicht ein.«
    »Ich mische mich ja gar nicht ein. Es hat nichts mit Einmischen zu tun, wenn man seine eigene Meinung hat. Und meine Meinung ist, dass du Anne zu dem Ball fahren lassen solltest.«
    »Na, du würdest die Kleine ja sogar zum Mond fliegen lassen, wenn sie wollte! - Ich habe nichts dagegen, dass sie eine Nacht drüben bei Diana bleibt. Aber mit diesem Ball, das gefällt mir ganz und gar nicht. Sie wird sich auf dem Schlitten eine dicke Erkältung holen und die Aufregung würde sie eine ganze Woche lang aus der Bahn werfen. Ich kenne Anne und weiß besser als du, was gut für sie ist, Matthew.«
    »Ich finde, du solltest Anne gehen lassen«, wiederholte Matthew mit fester Stimme. Das Diskutieren war nicht seine Stärke, aber zäh an einer Meinung festhalten, das konnte er großartig. Marilla seufzte und hüllte sich in Schweigen.
    Am nächsten morgen wandte sich Matthew auf dem Weg zur Scheune noch einmal an seine Schwester. »Ich meine, du solltest Anne fahren lassen, Marilla.«
    Einen Moment lang zögerte Marilla noch, dann schickte sie sich in das Unausweichliche.
    »Also gut, du kannst mitfahren«, sagte sie kurz darauf zu Anne, die gerade in der Küche Geschirr spülte.
    Das tropfnasse Tuch noch in der Hand, drehte sich Anne um. »Oh, Marilla, sag das noch einmal.«
    »Einmal ist genug, glaube ich. Du weißt ja, dass Matthew dahintersteckt. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Wenn du dir eine Lungenentzündung holst, kannst du dich bei Matthew bedanken. - Anne Shirley, du tropfst mir ja das ganze Abwaschwasser auf den Boden! So was von einem unvorsichtigen Mädchen!«
    Anne hörte kaum zu, so glücklich war sie. Später in der Schule wurde ihr immer deutlicher bewusst, dass sie es mit Sicherheit nicht überlebt hätte, wenn sie nicht zum Ball hätte gehen dürfen. An jenem Tag gab es kein anderes Gesprächsthema in Avonlea. Alle Jungen und Mädchen über neun Jahre würden beim Ball dabei sein - außer Carrie Sloane, deren Vater Marillas Ansichten über Veranstaltungen dieser Art zu teilen schien. Die arme Carrie vergoss den ganzen Nachmittag über stille Tränen.
    Vor der Abfahrt waren Anne und Diana lange damit beschäftigt, sich für den Abend schön zu machen. Diana frisierte Annes Stirnhaare im modischen Pompadourstil und Anne band Dianas Schleifen mit einem speziellen Kniff, den nur sie beherrschte. Dann probierte sie mindestens ein halbes Dutzend Arten aus, ihre Haare am Hinterkopf zu kämmen. Schließlich wurde sie auch damit fertig und wartete mit roten Backen und glänzenden Augen darauf, dass es nun endlich losgehen sollte.
    Es hatte Anne einen kleinen Stich versetzt, ihre einfache, schwarze Wollmütze und ihren schlichten grauen Stoffmantel mit Dianas flotter Pelzmütze und der modischen kurzen Jacke zu vergleichen. Zum Glück fiel ihr jedoch noch rechtzeitig ein, dass sie eine blühende Phantasie besaß, die sie in solchen Fällen einsetzen konnte.
    Endlich kamen Dianas Cousinen mit dem großen, schweren Pferdeschlitten, um die beiden Mädchen abzuholen. Anne

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