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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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schien, denn Mrs. Musgrove saß umringt von einer Schar ausdauernder alter Bekannter, und Charles kehrte mit den Captains Harville und Wentworth zurück. Der Anblick des letzteren brachte sie nur einen kurzen Moment aus derFassung; sie hatte schließlich damit rechnen müssen, daß die Ankunft ihrer gemeinsamen Freunde sie bald wieder zusammenführen würde. Ihre letzte Begegnung hatte ihr entscheidenden Einblick in seine Gefühle gegeben; sie hatte daraus eine köstliche Gewißheit mitgenommen; doch so, wie er dreinsah, fürchtete sie, daß die gleiche unheilvolle Überzeugung, die ihn von dem Konzert fortgetrieben hatte, ihn auch jetzt noch beherrschte. Er schien ihr nicht nahe genug kommen zu wollen, um mit ihr zu sprechen.
    Sie versuchte Ruhe zu bewahren und den Dingen ihren Lauf zu lassen, beschwor immer neu die Stimme der Vernunft und der Zuversicht: »Wenn nur die Gefühle echt sind, finden früher oder später auch unsere Herzen zueinander, es kann gar nicht anders sein. Wir sind schließlich keine Kinder mehr, die spitzfindig darauf lauern, sich von jeder noch so kleinen Unbedachtheit irreführen zu lassen, und leichtfertig ihr Glück aufs Spiel setzen.« Und doch schien ihr schon Minuten später wieder, daß unter den gegenwärtigen Umständen jeder Kontakt zwischen ihnen nur in Unbedachtheiten und Fehldeutungen unseligster Art münden konnte.
    »Anne«, rief Mary, immer noch von ihrem Ausguck, »da unter den Säulen steht Mrs. Clay, ich bin mir ganz sicher, und ein Gentleman ist bei ihr. Sie sind gerade eben aus der Bath Street gekommen. Sie unterhält sich ganz vertieft mit ihm. Wer ist das? – Komm her und sag es mir. Grundgütiger Himmel! Jetzt erkenne ich ihn. – Es ist Mr. Elliot selbst.«
    »Nein«, erwiderte Anne rasch, »Mr. Elliot kann es nicht sein, ganz bestimmt nicht. Er wollte Bath heute um neun verlassen und kommt erst morgen zurück.«
    Noch im Sprechen spürte sie Captain Wentworths Blick auf sich, und sofort fühlte sie sich unruhig und befangen und meinte, zuviel gesagt zu haben, auch wenn es noch so harmlos war.
    Mary, die nicht auf sich sitzen lassen mochte, daß sie ihren eigenen Vetter nicht kannte, begann voll Inbrunst von derElliot-Physiognomie zu reden und bestand noch nachdrücklicher darauf, daß es Mr. Elliot sei und daß Anne herkommen solle und sich selbst überzeugen; doch Anne hatte nicht vor, sich vom Fleck zu rühren, und versuchte gelassen und unbeteiligt zu tun. Neues Unbehagen befiel sie indessen, als sie sah, wie zwei oder drei der Besucherinnen einander wissend zulächelten, als hielten sie sich für bestens eingeweiht. Das Gerücht über sie hatte sich offenbar verbreitet; und eine kurze Pause folgte, die sicherzustellen schien, daß es sich nun noch weiter verbreiten würde.
    »Nun komm doch, Anne«, drängte Mary, »komm und sieh selbst. Mach schnell, sonst kommst du zu spät. Sie verabschieden sich, sie geben sich die Hand. Er wendet sich ab. Ich und Mr. Elliot nicht kennen, also wirklich! – Hast du denn Lyme ganz vergessen?«
    Um Mary zu beschwichtigen und womöglich auch ihre eigene Verlegenheit zu bemänteln, ging Anne langsam zum Fenster. Sie kam gerade noch recht, um festzustellen, daß es tatsächlich Mr. Elliot war (was sie keine Sekunde in Betracht gezogen hatte), bevor er in die eine Richtung verschwand und Mrs. Clay nach der anderen davoneilte; und indem sie die Verblüffung niederkämpfte, die der Anschein einer so einvernehmlichen Unterredung zwischen zwei Menschen mit so gänzlich entgegengesetzten Zielen zwangsläufig auslösen mußte, sagte sie ruhig: »Ja, das ist eindeutig Mr. Elliot. Er wird seine Abreise verschoben haben, das ist alles – oder ich habe mich getäuscht; vielleicht habe ich nicht richtig zugehört«; womit sie an ihren Platz zurückkehrte, wieder leidlich gefaßt und in der tröstlichen Hoffnung, sich gut geschlagen zu haben.
    Die Besucherinnen verabschiedeten sich; und Charles, der sie artig zur Tür gebracht hatte, nur um ihnen dann eine Grimasse hinterherzuschicken und sie fürs Kommen zu schmähen, hob an:
    »Also, Mutter, ich habe etwas gemacht, was dich freuenwird. Ich war im Theater und habe für morgen abend eine Loge reserviert. Bin ich nicht ein braver Sohn? Ich weiß doch, welche Freude du an einem Schauspiel hast, und es ist Platz für uns alle. Es passen neun hinein. Captain Wentworth habe ich schon verpflichtet. Anne hat sicher auch nichts dagegen mitzukommen. Ein Schauspiel ist nie verkehrt. Habe ich das nicht

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