Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
befähigte Sir W. zu guter Letzt, mit untadelig huldvoller Miene die Feder zu zücken, um die Eheschließung in das Ehrenbuch einzutragen. – Die einzige von ihnen allen, deren Mißfallen ernstliche Sorge bereiten konnte, war Lady Russell. Anne wußte, daß es Lady R. hart ankommen mußte, sich von ihrem Bild von Mr. E. zu verabschieden, & nicht minder hart, das wahre Wesen Capt. W’s kennen & schätzen zu lernen. Doch eine andere Wahl blieb Lady R. nun nicht. Sie mußte sich mit dem Gedanken abfinden, daß sie sich in beiden getäuscht – sich bei beiden von äußerem Schein hatte trügen lassen – daß sie, weil Capt. W’s Auftreten nicht ihren Vorstellungen entsprach, daraus vorschnell einen Charakter von gefährlichem Ungestüm abgeleitet hatte – und daß sie, weil Mr. Elliot so ganz nach ihrem Herzen war mit seiner Schicklichkeit & Korrektheit, seiner unfehlbaren Verbindlichkeit & Glätte, darin vorschnell das untrügliche Zeichen untadeliger Ansichten & eines wohlgeordneten Geistes gesehen hatte.–Nun oblag ihr nicht weniger, als einzugestehen, daß sie sich auf der ganzen Linie geirrt hatte, & sämtliche ihrer Meinungen & Hoffnungen zu revidieren. – Manchen ist eine Raschheit der Auffassung gegeben, eine Feinheit in ihrem Urteil über andere – kurz, eine natürliche Menschenkenntnis, die sich durch kein Mehr an Erfahrung wettmachen läßt – und Lady R. besaß diese Gabe in geringerem Maß als ihre junge Freundin – aber sie hatte ein sehr gutes Herz, & wenn auch ihr zweites Ziel war, vernünftig & klarsichtig zu sein, so war doch ihr erstes, Anne glücklich zu wissen. Sie liebte Anne mehr, als sie ihre eigenen Fähigkeiten liebte – und fand es, nachdem die anfängliche Befangenheit überwunden war, nicht weiter schwer, den Mann wie eine Mutter ins Herz zu schließen, den ihr Kind zu seinem Glück brauchte. Am freudigsten in der ganzen Familie nahm wohl Mary die Nachricht auf. Eine verheiratete Schwester war etwas, womit man sich schmücken konnte, und sie durfte sich schmeicheln, wesentlich zum Zustandekommen der Partie beigetragen zu haben, indem sie Anne im Herbst bei sich beherbergt hatte; & da ihre eigene Schwester besser sein mußte als die Schwestern ihres Mannes, traf es sich sehr gut, daß Capt. W. reicher war als Capt. B. oder Charles Hayter. – Ein wenig hatte sie vielleicht zu schlucken, daß ihr Anne, wenn sie von nun an zusammenkamen, wieder mit den Rechten der Älteren ausgestattet & als Herrin eines schmucken Landauletts entgegentrat; doch die
Zukunft
, in die
sie
blickte, machte dies mehr als wett – auf Anne warteten kein Uppercross Hall, keine Ländereien, kein Vorsitz über eine Familie; und solange nur dafür gesorgt war, daß Capt. W. nicht plötzlich zum Baronet ernannt wurde, hätte sie mit Anne nicht tauschen mögen. – Es wäre der
ältesten
Schwester zu wünschen gewesen, daß sie ähnlich zufrieden mit
ihrem
Los war, denn mit einer Veränderung desselben ist kaum zu rechnen. Nicht lange, & sie mußte erleben, daß Mr. E. sich zurückzog; & niemand von passendem Rang ist seither auf den Plan getreten, um wenigstenssolch unbegründete Hoffnungen zu wecken, wie sie mit
ihm
untergegangen waren. Die Nachricht von der Verlobung seiner Kusine Anne brach völlig unerwartet über Mr. Elliot herein. Sie durchkreuzte seine besten Pläne, sich sein häusliches Glück zu sichern, seine beste Hoffnung, Sir Walter mit all der Wachsamkeit, zu der seine Rolle als Schwiegersohn ihn berechtigt hätte, vom Heiraten abzuhalten. – Doch bei aller Konsterniertheit & aller Enttäuschung konnte er dennoch etwas tun, um seine Interessen & seinen Spaß zu befördern. Schon bald verließ er Bath; und als Mrs. Clay kurz darauf ebenfalls aus Bath verschwand & nicht viel später ruchbar wurde, daß sie unter seiner Protektion in London etabliert sei, wurde offenbar, welch Doppelspiel er getrieben hatte & wie weit er zu gehen bereit war, um seine Pfründe zumindest gegen
ein
listiges Weib zu verteidigen. – Bei Mrs. Clay hatte die Verliebtheit die Oberhand über ihre Berechnung gewonnen, & um des Jüngeren willen hatte sie die Chance fahrenlassen, ihre Schlingen noch länger nach Sir Walter auszuwerfen; – sie ist jedoch nicht nur verliebt, sondern auch schlau; und es bleibt abzuwarten, ob nun seine Gerissenheit oder die ihre letztlich den Sieg davonträgt – ob er sich, nachdem er sie daran hindern konnte, die Gattin von Sir Walter zu werden, zum Schluß nicht doch beschwatzen &
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